Der Brandstifter
geschafft habe, da durchzukommen, bis meine Großmutter zu uns zog, als ich vier war, ist mir ein Rätsel. Mit ihr kehrte eine gewisse Ordnung bei uns ein. Sie sorgte dafür, dass im Kühlschrank immer etwas zu essen und mein Bett bezogen war, dass meine Sachen wenigstens gewaschen waren, auch wenn sie weder hübsch noch neu oder auch nur annähernd so waren, wie ich es mir gewünscht hätte. Aber ich war wenigstens sauber, hatte etwas anzuziehen und etwas zu essen, und eigentlich störte es mich nicht, mein Zimmer mit Oma zu teilen. Jedenfalls damals nicht. Wenn ich mitten in der Nacht aufwachte und sie atmen hörte, wusste ich wenigstens, dass ich nicht allein war. Erst als ich älter wurde, ging mir das Geschnarche und Gestöhne, das sie im Schlaf von sich gab, auf die Nerven. Ich konnte ihr nie aus dem Weg gehen, nie hatte ich einen Platz für mich allein. Ständig war sie da, beobachtete mich und hatte immer etwas zu kommentieren– bei allem, was ich las, anzog oder sagte. Oma hatte ein loses Mundwerk, und man wusste nie, woran sie als Nächstes etwas auszusetzen fand. Wenn sie erst einmal etwas gefunden hatte, nahm sie kein Blatt vor den Mund. Ich habe viel Zeit darauf verwendet, mich ihrer Aufmerksamkeit zu entziehen. Das heißt, ich verbrachte Stunden in unserer Bücherei oder in der Schule. Woanders konnte ich nicht hin. Aber dadurch habe ich viel gelesen und eine Menge gelernt. Auf diese Weise habe ich vielleicht mehr erreicht, als wenn es anders gelaufen wäre. Wahrscheinlich sollte ich meiner Oma sogar dankbar sein.
Das andere Problem mit Oma bestand darin, dass sie durch und durch Hypochonder war und permanent beim Arzt saß. Bestimmt zweimal pro Woche ist sie wegen irgendetwas dort gewesen. Sie bekam Rezepte für sämtliche Schmerztabletten der Welt, außerdem etwas für die Nerven, etwas zum Einschlafen und etwas zum Aufwachen… Irgendwann fand sie einen neuen Hausarzt, der ihr eine Polymyalgie bescheinigte, was sie aufs Höchste entzückte und woraufhin sie allen von ihrer Polly-Molly-was-weiß-ich erzählte und dass der andere Arzt ja keinen blassen Schimmer hatte, was das überhaupt war. Ich hab irgendwann mal im Internet nachgelesen. Weißt du, was Polymyalgie ist? Unspezifische Schmerzen und Beschwerden. Mein Rücken. Meine Knie. Oh, Herr Doktor, es ist die Hüfte. Mein Hals. Ich kann mich heute kaum auf den Beinen halten.
Nicht so schlimm. Nehmen Sie ein Schmerzmittel.
Ja, natürlich, wenn Sie meinen.
Bis dahin war ich nie auf den Gedanken gekommen, Oma auszunutzen. Das passierte erst, als Steve Wilmot von zwei Etagen weiter unten sie im Treppenhaus überfallen hatte. Steve war dumm wie Brot und auch ungefähr so dynamisch. Wahrscheinlich hatte er nicht damit gerechnet, dass Oma ihre Handtasche wesentlich entschlossener festhalten würde, als er gewillt war, sie zu klauen. Er hatte sich ein Tuch vors Gesicht gebunden, aber sie wusste trotzdem, wer er war. War auch nicht so schwer, denn er hatte jeden Tag dasselbe Sweatshirt von Russell Athletic an. Auf die Idee, sich für den Überfall umzuziehen, war er nicht gekommen. Als sie ihm drohte, seiner Mutter davon zu erzählen, haute er schleunigst ab. Er war ein bisschen älter als ich, aber wir kannten uns flüchtig. Als ich ihn dann das nächste Mal beim Fußballspielen vor unserem Haus sah, fragte ich ihn, was er denn eigentlich von ihr gewollt hatte. Schließlich wusste er genauso gut wie ich, dass sie nie viel Geld dabeihatte.
» Medikamente. Hat sie doch haufenweise, oder?«
» Solches Zeug nimmst du gar nicht.« Das stimmte. Er hielt sich für einen Leistungssportler, und sein Drogenkonsum beschränkte sich auf ab und zu ein bisschen Hasch.
» Ich wollte es halt verkaufen. Damit kann man ordentlich Kohle machen, wenn man die richtigen Sachen an die richtigen Leute bringt.«
» Was denn zum Beispiel?«
Steve, der sich nie etwas merken konnte, das über Fußballergebnisse und sein Lieblingsgericht beim Chinesen um die Ecke hinausging, wurde plötzlich gesprächig. » Aufputschmittel, Beruhigungsmittel. Valium, solche Sachen. Alles, wo Kodein drin ist. Und Tramadol. Wenn die ihr echtes Morphium verschrieben haben, dann auch das, ist ja klar.«
Ich musste an den Schrank neben Omas Bett denken, mit einem ganzen Bataillon von Gläschen mit jeweils einer Handvoll Tabletten darin, die Pappschachteln, aus denen die Blisterverpackungen mit dem Folienrücken herauslugten. Sie hatte alles ausprobiert, was ihr zwischen die Finger gekommen war,
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