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Der Brandstifter

Der Brandstifter

Titel: Der Brandstifter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Casey
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wenn es eintrat.
    Es war fünf vor sechs, als ich in der Eingangshalle des Leichenschauhauses ankam und dort auf Godley traf, der mit verschränkten Armen und geschlossenen Augen in einem Sessel saß. Auf Zehenspitzen schlich ich mich weiter und versuchte, mit meinen Schuhen so wenig Geräusch wie möglich auf dem Fliesenboden zu erzeugen, um ihn nicht zu stören. Er sprach mit geschlossenen Augen. » Perfektes Timing, Maeve.«
    Ich ließ die Schultern sinken. » Woher wissen Sie, dass ich hier bin?«
    » Es ist mein Job, allwissend zu sein.«
    Ich fragte mich, ob der Chief Superintendent wusste, dass er unter den jüngeren Kollegen des Dezernats den Spitznamen » Gott« innehatte, und musste dann gleich wieder schmunzeln. Wenn er wirklich alles wusste, war auch das ihm sicher nicht entgangen.
    » Bin ich froh, dass ich es noch geschafft habe.« Das klang zwar enthusiastisch, aber von dem Leichenhallengeruch nach Desinfektionsmitteln, der etwas unsagbar Widerliches überlagerte, war mir schon jetzt ganz mulmig. Auf dem Rückweg zum Revier hatte Sam mir mit makabrem Vergnügen von den Obduktionen berichtet, bei denen er dabei gewesen war, inklusive minutiöser Beschreibungen von Maden, von denen es in vor Verwesung buchstäblich zerfallenden Brusthöhlen und Körpern wimmelte. Rebeccas Leichnam hatte ich an diesem Tag bereits gesehen, ohne dass mir dabei schlecht geworden wäre. Aber eine sezierte menschliche Leiche hatte ich noch nie zu Gesicht bekommen, und so langsam bereute ich meinen kindischen Eifer, unbedingt dabei sein zu wollen. Die alte Regel, dass zur Polizeiausbildung auch die Teilnahme an einer Obduktion gehörte, kam schon seit einiger Zeit nicht mehr zur Anwendung, und bis jetzt hatte ich auch noch nie das Bedürfnis danach verspürt.
    » Glen verspätet sich ein bisschen.« Godley streckte die Arme über dem Kopf aus und gähnte. » Verzeihung. Zu wenig Schlaf.«
    » Wem sagen Sie das«, antwortete ich voller Mitgefühl und biss mir im selben Moment auf die Lippe. Als eines der jüngsten Teammitglieder war ich nun wahrlich nicht in einer mit der des Chief Superintendent vergleichbaren Lage. Auf seinen Schultern lasteten sämtliche Erwartungen und die Verantwortung für die Ermittlungen. Ich hatte keine Ahnung, wie er mit diesem Stress fertig wurde.
    » Ich nehme an, Sie haben schon Hunderte davon gesehen«, sagte ich schnell.
    » Ein paar. Ist es Ihre erste?«
    Ich nickte.
    » Keine Angst. Es wird nicht lange dauern. Und es ist interessant. Man vergisst, worauf man schaut, wenn Glen anfängt, seine Erkenntnisse zu erklären.« Der Chief Superintendent hob die Augenbrauen. » Sie sind doch da nicht empfindlich, oder?«
    » Nein, nein«, log ich. Zu dem Zeitpunkt stand für mich schon längst fest, dass ich nach der Arbeit an diesem Fall nie wieder in der Lage sein würde, Gegrilltes zu genießen. Genau genommen drehte sich mir schon bei dem Gedanken an gegartes Fleisch jeglicher Art der Magen um. Ein Leben als Vegetarier erschien mir zunehmend verlockender.
    »› Hic locus est ubi mors gaudet succurrere vitae‹«, las Godley von einem gerahmten Plakat an der Wand hinter mir ab. » An diesem Ort freut sich der Tod, dem Leben beizustehen.«
    » In jeder Leichenschauhalle, in der ich je gewesen bin, steht das irgendwo geschrieben. Ist doch eine schöne Sichtweise, nicht wahr?«
    » Hm.« Ich drehte mich um, damit ich den Satz noch einmal lesen und darüber nachdenken konnte. » Der Ort, an dem sie uns sagen, was ihnen zugestoßen ist. Wo sie Zeugnis ablegen.«
    » Mit Glens Hilfe.« Er schaute an mir vorbei und stand auf. » Und da ist er auch schon.«
    Dr. Hanshaw war in der Tür neben dem Anmeldetresen erschienen. » Tut mir leid wegen der Verspätung. Wir wären jetzt so weit.«
    Meine Beine zitterten wie die eines neugeborenen Fohlens, als ich hinter Godley herstakste und mir plötzlich wünschte, irgendwo anders zu sein. Aber wenn ich diesen Berufsweg ernsthaft weiterverfolgen wollte, musste ich mich abhärten. Wahrscheinlich würde ich noch weitaus schlimmere Dinge zu sehen bekommen, bevor ich dem Tod wirklich gewachsen war. Mit diesem motivierenden Gedanken und ein paar tiefen Atemzügen durchquerte ich die zweiflügelige Tür zum Obduktionssaal, wo die sterblichen Überreste von Rebecca Haworth auf einem hohen Tisch aufgebahrt lagen, nackt, bereit für die Untersuchung. Die schöne Ali war nirgendwo zu sehen. Sie verbrachte nicht viel Zeit in der Leichenhalle, wenn ich richtig informiert war.

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