Der Brandstifter

Titel: Der Brandstifter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Casey

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Hanshaw diktierte seine Erkenntnisse, und sie tippte anschließend die Berichte. Nicht weil sie zart besaitet gewesen wäre– keineswegs. Selbst an den grausigsten Tatorten hatte sie niemand auch nur mit der Wimper zucken sehen. Der Rechtsmediziner hatte bei der Arbeit nur nicht gern viele Leute um sich. Wobei Godley nicht zählte, schließlich waren die beiden alte Freunde, und ich zählte eher als Godleys Schatten denn als eigenständige Person, sodass er mich vermutlich kaum bemerkte. Die einzige weitere Person im Raum war ein gutaussehender junger Mann in OP -Kleidung, den Hanshaw als Steven, seinen technischen Assistenten, vorstellte. Wie zum Ausgleich für seine Umgebung war er ein Energiebündel mit atemberaubend gefärbten Haarsträhnen und drei Piercings im linken Ohr. Leise vor sich hin summend sprang er hin und her und traf die letzten Vorbereitungen, so als läge da nicht eine tote junge Frau in der Mitte des Raumes, sondern als wäre es ein ganz normaler Arbeitstag. Was es für ihn ja auch war. Und für mich sollte das bitteschön auch Routine sein, sagte ich mir, straffte die Schultern und machte mich auf das gefasst, was da kommen sollte.
    » Wir haben sie bereits fotografiert und ein paar Proben zur genaueren Analyse entnommen.« Dr. Hanshaw wandte sich an mich, knapp im Ton, aber nicht unfreundlich, und ich nahm an, dass Godley ihn gebeten hatte, mir nebenher das Geschehen zu erklären. » Etwas Seltsames haben wir beim Entkleiden festgestellt. Der Slip war am oberen Rand eingerollt– der Gummi nach innen gedreht–, und auf der rechten Seite saß er tiefer als auf der linken.« Er führte vor, was er meinte, indem er den Bund seiner OP -Hose nach innen faltete, sodass das Gummiband zu seinem Körper hin zeigte. » Meines Erachtens deutet das darauf hin, dass sie von einer anderen Person angekleidet wurde und sich nicht selbst angezogen hat. Es ist unangenehm, und sie hätte sich nicht wohlgefühlt, so herumzulaufen. Ich glaube auch nicht, dass sie bei Bewusstsein war, als sie angekleidet wurde.«
    Godley runzelte die Stirn. » Sexueller Übergriff?«
    » Dafür habe ich keinerlei Anzeichen gefunden.« Dr. Hanshaw zuckte die Schultern. » Ich bin nicht sicher, was das zu bedeuten hat, aber es passt nicht zu den anderen Fällen der Soko Mandrake. Bei den letzten vier Opfern gab es keinen Hinweis auf durcheinandergebrachte Kleidung, abgesehen davon, was passiert, wenn jemand über den Boden geschleift wird– alles um ein paar Zentimeter verrutscht und so weiter. Aber ihr Kleid war ordentlich heruntergezogen. Nur die Unterwäsche saß nicht richtig.«
    » Was noch?«
    » Folgende Besonderheiten: Sie hat eine ältere Verletzung, eine Jochbeinfraktur. Ausgeheilt, also definitiv nichts Aktuelles. Ich habe ihre Krankenakte vom Hausarzt angefordert, und vielleicht kann ja ihre Familie Hintergründe dafür liefern. Und dann hätten wir noch das hier.« Dr. Hanshaw hob ihre rechte Hand und drehte sie so, dass wir die Finger von oben sehen konnten. Einen Teil der Haut, die den schlimmsten Brandschäden entgangen war, hatte er gesäubert. » Sehen Sie diese Male hier auf Zeige- und Mittelfinger, jeweils kurz vor dem Knöchel? Ich weiß, bei den vielen Verbrennungen sind sie schwer zu erkennen, aber dort befinden sich Male, die unter UV -Licht sichtbar werden. Es ist Narbengewebe. Ich nehme mal an, dass sie durch kontinuierliches Reiben der Zähne auf der Haut verursacht wurden, wenn sie sich die Finger in den Hals gesteckt hat.«
    » Aber wozu das denn?«, fragte Godley.
    » Sie hat damit selbst Erbrechen ausgelöst, um schlank zu bleiben«, erklärte ich, ohne nachzudenken. Ich war auf eine Mädchenschule gegangen, und wenn ich über eines gut Bescheid wusste, dann waren es Essstörungen.
    Der Rechtsmediziner nickte. » Vollkommen richtig. Bulimia nervosa. Wir haben auch erhebliche Säureschäden auf dem Zahnschmelz festgestellt. Ich vermute, dass die Krankheit schon längere Zeit bestand. Sie hatte beträchtliches Untergewicht– 47 Kilo. Sie war ungefähr 1,74 Meter groß, und ihr BMI lag knapp über 16. BMI bedeutet Body Mass Index«, erklärte Dr. Hanshaw schnell, wahrscheinlich für mich. » Ein gesunder BMI liegt irgendwo zwischen achtzehn und fünfundzwanzig. Die Essstörung ist für uns nicht gerade hilfreich bei der Ermittlung des Todeszeitpunktes, weil von ihrer letzten Mahlzeit möglicherweise nicht viel übrig ist. Eigentlich halte ich es auch für problematisch, sich zu diesem Zweck auf den