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Der Brandstifter

Der Brandstifter

Titel: Der Brandstifter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Casey
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dem Boden lauerten reichlich Gefahren in Form von losen Blättern, leeren Wasserflaschen und zerknülltem Butterbrotpapier. Trotz des hochtrabenden Namens war die Einsatzzentrale nichts weiter als ein vollkommen kahles Büro. Sie würde ebenso gut als Callcenter durchgehen, und zwar als ein ziemlich schäbiges, denn der Laden war die reinste Müllkippe. An fast jedem Arbeitsplatz stand ein besudelter Kaffeebecher. Neben dem Kopierer hatte jemand eine Packung Vollkornkekse aufgerissen. Das konnte man daran erkennen, dass mindestens zwei Exemplare beim Herausnehmen total zerbröselt waren. Die winzigen Krümel traten sich dann in den Nylonteppichfliesen fest. Obwohl ich bestimmt keine Sauberkeitsfanatikerin war, wünschte ich mir spontan einen Staubsauger herbei. Aber selbst wenn in diesem Chaos einer bereitgestanden hätte, hätte ich ihn vor den Kollegen keinesfalls angerührt. So dumm war ich nun wirklich nicht. Ich kümmerte mich auch nie um Abwasch oder Teekochen und dachte nicht im Traum daran aufzuräumen. Denn sobald man den kleinsten Anflug von Schwäche zeigte, war man im Handumdrehen zuständig für die häuslichen Pflichten des gesamten Teams.
    Triumphierend kehrte ich an meinen Schreibtisch zurück, in der Hand einen asthmatisch keuchenden Tischventilator, der sich nicht mehr schwenken ließ. Er würde vermutlich nicht viel mehr bewirken, als die Blätter auf meinem Schreibtisch durcheinanderzuwirbeln. Sie flatterten auf wie verletzte Vögel. Eine nennenswerte Abkühlung war zwar nicht zu verzeichnen, aber das war mir egal. Ich hatte den Ventilator von Peter Belcotts Platz geklaut, und allein das war es wert. Eine kalte Coca Cola light aus dem Automaten deckte meinen Koffeinbedarf und machte sich außerdem prima als Briefbeschwerer. Ich drehte mir die Haare im Nacken hoch, steckte einen Bleistift durch den Knoten, presste mir die Hände auf die Ohren, damit ich nicht abgelenkt wurde, und vertiefte mich in die Lektüre.
    Ich hatte kaum begonnen, mich darauf zu konzentrieren, als plötzlich der Ventilator ausgeschaltet wurde. Empört schaute ich auf.
    » Mach ihn sofort wieder an.«
    Vor meinem Schreibtisch stand Rob. Er hatte den Finger auf den Schalter gelegt und schüttelte den Kopf. » Was machst du denn noch hier? Solltest du nicht längst zu Hause sein?«
    Ich zuckte die Schultern. » Kann sein. Aber ich gehe lieber noch mal die Akten durch.«
    » Du weißt aber schon, was Privatleben ist, oder?« Er nahm einen Hefter mit Fotos vom Tatort des dritten Mordes zur Hand und blätterte ihn flüchtig durch. Unwillkürlich warf ich ebenfalls einen Blick auf die sterblichen Überreste von Charity Beddoes, einer 23-jährigen, hoch aufgeschossenen und gutaussehenden Doktorandin der London School of Economics. Ihre Größe und die blauen Augen hatte sie von ihrem englischen Vater und das Haar und die Hautfarbe von ihrer nigerianischen Mutter. Die Bilderserie erzählte beinahe eine Geschichte. Der schmale Weg hin zu dem Wäldchen, wo die Leiche verbrannt worden war. Verkohlte Baumrinde und Geäst. Ein eventueller Fußabdruck in Nahaufnahme. Geschwärzte Haut. Ein verdrehter Körper mit Fetzen von Kleidung. Ein Bein war seltsamerweise vom Feuer verschont geblieben und war von der Mitte des Oberschenkels bis zum Fuß perfekt erhalten, die braune Haut unversehrt. Lediglich an der Wade war eine langgezogene Schürfwunde zu sehen, die vermutlich daher rührte, dass die Frau über den Boden geschleift worden war. Ohne im rechtsmedizinischen Gutachten nachzulesen, wusste ich, dass dies etwa zum Zeitpunkt ihres Todes geschehen war, obwohl man nicht mit Sicherheit hatte feststellen können, ob sie davon noch etwas gespürt hatte. Aber in jedem Fall musste sie Schmerzen erlitten haben. Am Kopf und im Gesicht gab es 14 verschiedene Verletzungen, die ihr nach Angaben des Rechtsmediziners mit einem Klauenhammer beigebracht worden waren. An den Händen und Unterarmen hatte sie Verletzungen, die von ihrer Gegenwehr zeugten, als sie versucht hatte, sich zu schützen. Richtig verteidigen konnte sie sich allerdings nicht, da ihre Hände vor dem Körper gefesselt waren. Ausgeschlagene Zähne, Knochenbrüche. Für ihre Familie war sie wohl kaum wiederzuerkennen gewesen, falls sie den Leichnam hatten sehen wollen, obwohl ich inständig hoffte, dass sie davon Abstand genommen hatten. So durfte man einen geliebten Menschen keinesfalls in Erinnerung behalten.
    Leise fluchend legte Rob den Hefter wieder auf meinen Schreibtisch

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