Der Brennende Salamander
eigenen Bett, weiß ich, daß mich der Schlaf flieht. Ich sehe diese Mutter dann ganz deutlich vor mir. Ich sehe sie in der Nacht mit verhülltem Gesicht ein Bündel über die Piazza tragen, ich sehe sie die neun Stufen zur pila hinaufsteigen, zögernd, den Schritt verhaltend. Ich sehe sie rückwärts wieder hinabsteigen, ich sehe sie ein zweites Mal die Treppen erklimmen, die letzten Stufen zur pila. Und ich sehe, wie sie sich mit einer heftigen Gebärde des wimmernden Bündels entledigt.
Ich sehe, wie sie die Glocke zieht.
Ein Geräusch, das ich noch heute zu hören glaube.
Und ihre Tränen vermischen sich mit den meinen. Das einzig Gemeinsame, das wir je hatten.
Wir essen unseren Fisch, trinken Wein, Daniele spielt die Fidel. Wir sind fröhlich. Dann gehen wir alle ins Haus des Messer Orelli, das am Arno liegt, zurück. Was jeder von uns danach in seiner Kammer, die direkt unter dem Dach liegt, tut, weiß keiner vom anderen. Allenfalls von Lazzaro können wir es ahnen: Daniele, der einmal zu ihm hineinging, ohne anzuklopfen, kam verstört wieder heraus. Er wollte nicht erzählen, was er gesehen hatte. Auch am nächsten Tag nicht.
Ich sitze an solchen Abenden gern auf einem wackeligen Stuhl am Fenster und schaue auf den Arno hinunter. Die Möwen fliegen am Fenster vorbei. Ich verfolge ihren Flug. Am anderen Ufer des Flusses spielen Kinder mit einem Ball, zwei Hunde, laufen mit wildem Gekläff um die Wette, ein Junge wirft ihnen Stöckchen zu, die sie brav apportieren, der eine rascher als der andere. Ab und zu stößt eine Rotfeder mit dem Kopf durch die Wasseroberfläche, um Luft zu holen, dann entstehen Kreise auf dem Wasser. Ich kann die roten Flossen der Fische sehen, ihre Augenringe sind gelb. Wenn die Möwen herabstoßen, um sich einen Fisch zu fangen, vergrößern sich die Kreise, überlappen manchmal zu einem kunstvollen Gebilde, und es sieht aus, als fließe der Arno rückwärts.
Später, wenn das Licht schon halb erloschen ist, spiegeln sich die Uferbäume im Wasser. Es sieht aus wie ein unterirdischer Wald, der mit seinen wabernden Bildern den Eindruck entstehen läßt, als sei nur dort unten das richtige Leben und die Welt oben sei starr und tot.
Und noch später dann, schon halb in der Nacht, schwimmt irgendein Tier von einem Ufer zum anderen. Es hinterläßt eine Kiellinie, die sich verbreitert und sich dann in der Dunkelheit des Flusses verliert. Ich vermute, daß es sich um eine Ente handelt, und schließe das Fenster.
Manchmal höre ich dann über mir Schritte. Ich weiß, es sind Brigidas Schritte. Aber ich weiß nicht, was sie zu dieser späten Stunde noch auf dem solaio zu tun hat, da sich ihr Zimmer unter mir befindet.
An manchen Abenden nehme ich meine Posaune und gehe hinunter zum Fluß. Ich löse unser mehr als baufälliges Boot und rudere auf das dunkle Wasser hinaus.
In Mondnächten lasse ich mich manchmal den Arno hinuntertreiben, stelle mir vor, daß ich alle Vernunft über Bord werfe und mich bis aufs Meer hinauswehen lasse. Ich stelle mir vor, daß ich kein Ziel habe, keinen Ort, der mich zum Landen einlädt, daß ich mich im Nirgendwo befinde.
Dann blase ich die Posaune.
Niemand hört mich, niemand stört mich, ich spiele für mich. Oder vielleicht für Gott. Für Gott jedoch nur, wenn ich einen guten Tag hatte.
Manchmal fragen sie mich, was ich spiele. Ich sage, ich spiele eine Handschrift.
Eine Handschrift, wundernsie sich, eine Handschrift kann man nicht spielen.
Sie ist aus dem Trecento, und man kann sie spielen.
Zeig sie uns! sagen sie und wollen es nicht glauben.
Ich zeige ihnen die Handschrift und das Bild, auf dem vier junge Leute in einem Boot sitzen: Einer rudert, einer spielt die Gambe, einer flötet, eine junge Frau hört zu.
Wieder allein, erzähle ich eine Geschichte, nur für sie. Manchmal rezitiere ich auch Lorenzo de' Medicis Gedichte, die schon kaum einer mehr kennt. Ich denke, solange sie in der Erinnerung sind, sind sie nicht tot. Ist Lorenzo nicht tot.
Natürlich gibt es welche, die Noten kennen oder gar früher einmal Lorenzos Harmonieschule besucht haben. Aber das interessiert mich nicht. Ich mache meine eigenen Töne, meine eigenen Melodien. Ich lasse die Töne aus meinem Kopf herausquellen, schicke sie in die Welt hinaus, schaue ihnen zu, wie sie davonfliegen, federleicht, wie eine Feder von meinen Fingern geblasen. Die Töne segeln dahin, zerstäuben im Wind wie ein hauchdünnes Gespinst aus Wasser.
An manchen Tagen spiele ich das Jüngste
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