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Der Brennende Salamander

Der Brennende Salamander

Titel: Der Brennende Salamander Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Bayer
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Gericht. Mein Jüngstes Gericht. Ich sage einen Bibeltext vorweg, blase dann die Töne voller Zorn in die Luft, sage wieder den Bibeltext, immer das eine oder das andere. So lange, bis ich mich dem Teufel näher fühle als Gott.
    Dann rudere ich zurück. Mit aller Kraft, bevor mich der Fluß dem Meer zutreibt. Ich vertäue das Boot an seinem Poller, schaue dem Kahn zu, wie er dümpelt. Ich sehe ihm gerne zu, wie er dümpelt. Es ist eine Bewegung, die völlig sinnlos ist, aber sie schläfert ein. Wenn ich nicht einschlafen kann, schaue ich zu, wie der Kahn dümpelt, versuche das Bild auf meinen Augen festzuhalten, bis ich im Bett liege. Die Hände klammkalt von der Posaune, die ich unter meiner Decke verberge, schlafe ich dann irgendwann ein. Leonello, der mich einmal des Nachts weit draußen auf dem Fluß hörte, weil er spät nach Hause kam, bedankte sich bei mir für mein rücksichtsvolles Verhalten, da er annahm, ich wolle niemandes Nachtruhe stören.
    Ich lächelte schweigend. Und dachte, wie wenig einer doch vom anderen weiß. Im Grunde genommen gar nichts, so viel man auch miteinander redet.
    L A BOTTEGA
    Das Gerücht über die Rückkehr der Medici erreichte uns am gleichen Tag wie das Angebot eines Händlers aus Lucca, der uns einen Silberbaum mit Schlangenhörnern und Schlangenzungen verkaufen wollte, angeblich damit der Hausherr und seine Gäste sicher sein konnten, daß ihr Essen nicht vergiftet war. Eine Vorsichtsmaßnahme, die in ungewissen Zeiten von äußerster Wichtigkeit sein würde, wie er behauptete. Außerdem bot er uns ein Dutzend Messer an, deren Griffe aus Haifischzähnen oder dergleichen bestanden – dem gleichen Material, aus dem auch jene Schlangenhörner und Schlangenzungen gemacht waren und das, wie behauptet wurde, zu schwitzen begann, wenn es mit vergifteten Speisen in Berührung kam.
    Beide Nachrichten erhielten wir in der bottega, was allerdings nichts Besonderes war. Genaugenommen erfuhren wir sämtliche Neuigkeiten, die unsere Stadt betrafen, im Laden, in unserem eigenen Haus des Messer Orelli oder in irgendeinem der hundert anderen im Umkreis des Mercato vecchio und in den engen Gassen, die zum Fluß führten: Ob die Arte della lana wieder einmal in Erwägung zog, jede Bruderschaft zu bestrafen, die mehr als zehn Genossen in ihrer Runde zählte, weil das für sie bereits den Beginn einer Verschwörung bedeutete; wann das nächste Schiff aus Akkon eintreffen würde, damit die speziali ihre Gewürze und Farbstoffe oder andere Kostbarkeiten wieder im ›Lamm Gottes‹ oder in der ›Sonne‹ ausstellen konnten (selbstverständlich auch, ob sie vielleicht heimlich irgendwelche Gifte anzubieten hatten, für die es immer Bedarf gab); wen die zwanzig bewaffneten Nachtwächter diesmal beim Einbruch in eines der Geschäfte am Ponte vecchio erwischt hatten; und ob wieder einmal die Haarnetze aus Gold- und Silberfäden, auf die die Florentinerinnen so stolz waren, durch Luxusgesetze verboten wurden. Welch besonders interessanten Leute zur Maimesse, zur Johannismesse, zur Michaelsmesse oder zur Wintermesse erwartet wurden, wer gerade zu irgendeiner anderen Messe aufbrach – wir durften sicher sein, es brauchte nur einer von uns das Atelier zu verlassen und ein Stockwerk tiefer in die bottega gehen, um sich von Leonello in aller Ausführlichkeit überdies alles informieren zu lassen. Hier erfuhr er mehr als aus den zahlreichen Flugblättern, die tagtäglich erschienen und über die großen Katastrophen in der Welt berichteten. Und die Themen waren zahllos: wer gerade von wem erdrosselt oder gevierteilt worden war, ob die Katzen und Ratten wieder einmal die Stadt überfluteten – nichts war so unwichtig oder wichtig, als daß es nicht sofort ein heißdiskutierter Gegenstand in einer der bottege gewesen wäre.
    Die bottega – ein kostenloses gigantisches Flugblatt, jeden Tag überquellend von Nachrichten, die meist ungekaut und bestenfalls halbverdaut in unsere Mägen gerieten wie die Opfer einer Schlange.
    Leonello hatte im Laufe der Jahre, in denen er die bottega im Hause Orelli leitete, eine geradezu ungeheure Fähigkeit entwickelt, jedem Kunden, der bei ihm auch nur das kleinste Stück Seide kaufte, irgendwelche Neuigkeiten aus der Nase zu ziehen, die er uns dann am Abend oder auch während der Mittagszeit genüßlich offenbarte. Käme ein Fremder in unsere Stadt – eine Stadt, die sich stolz das Schild ›Das neue Jerusalem‹ um den Hals hängt –, der sich darüber informieren

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