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Der Brennende Salamander

Der Brennende Salamander

Titel: Der Brennende Salamander Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Bayer
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roter Seide, die er um den Hals trug. Vielleicht ist er also der Sohn eines hohen Würdenträgers, mutmaßen wir. Um meinen Hals lag eine Schnur aus schwarzer Seide. Mein Vater war also nur ein Mönchlein – vielleicht. Die Worte ›vielleicht‹, ›vermutlich‹, ›wahrscheinlich‹ nehmen den meisten Raum ein in dem, was es über uns zu berichten gibt. Hinter der Hand wird gemunkelt, es seien von hundert Kindern achtzig die Sprößlinge von Klerikern und Ordensleuten.
    Stets aufgezeichnet sind die Angaben über die Ausgaben für unsere Ammen, auch daß sie Gymnastik haben machen müssen, damit ihre Brüste kraftvoll bleiben, und was wir auf dem Land gekostet haben, unser Essen, unsere Kleidung und so weiter. Wieviel Zuneigung wir bekommen haben, ist natürlich nirgendwo aufgelistet, wie sollte es auch. Sie kann weder in Ellen noch in Florinen gemessen werden.
    Wenn wir bei der Erörterung der Amulette angekommen sind, ist es in dem Saal so still wie auf dem Grund eines Sees. Wir lauschen gebannt, wenn Sebastiano diese Amulette der Reihe nach aufzählt und beschreibt, wir hören ihm zu, als sei er der beste Geschichtenerzähler dieser Stadt.
    Aus Elfenbein also. Bist du sicher?
    Sebastiano nickt. Ja, aus Elfenbein.
    Und in der Mitte auseinandergebrochen?
    Sebastiano nickt wieder.
    Schwöre, fordern wir, daß es wirklich aus Elfenbein ist!
    Sebastiano schwört. Daß die eine Hälfte des Amuletts darauf wartet, daß die andere Hälfte eines Tages zu ihr zurückfindet, braucht er nicht zu erzählen, wir wissen es.
    Rocco ist von seiner Geburt an im Haus der innocenti aufgewachsen und brüstet sich damit, daß er vermutlich einen Vater hat, der für ihn eine Stiftung gemacht habe. Aber eine Stiftung nützt wenig, wenn man nicht weiß, woher man kommt. Und vor allem, wer die Mutter ist. Und doch ist Rocco später zu einer Amme gegeben worden – zu der gleichen übrigens wie auch ich –, und niemand weiß, wie alles war, und es bleibt nur die Vermutung, daß das Geld der Stiftung vermutlich eines Tages zu Ende war. Einige werden zurückgeholt, flüstert Sebastiano manchmal, und jeder klammert sich an diesen Satz, den Sebastiano vom Schreiber gehört hat, weil er den glücklichen Umstand für sich selber erhofft: Zwei innocenti seien in einem Jahr zurückgeholt worden von ihren Müttern.
    Zwei von wie vielen? will Leonello wissen.
    Sebastiano, den wir so ausquetschen, daß wir manchmal das Gefühl haben, er müsse leer sein wie eine ausgenommene Gans, zuckt mit den Achseln. Er könne nicht stundenlang in diesen geheimen Büchern blättern und suchen, es sei ohnehin verboten.
    Weil wir so wenig wissen über unsere Mütter, erfinden wir sie uns. Wir gestalten sie, hauchen ihnen sozusagen unseren Odem ein, machen sie groß und schön. Und edel. Sobald sie zu Geld gekommen sind, werden sie uns zu sich holen, ermutigen wir uns gegenseitig, und manche lecken noch Honig aus der Notiz in den Akten: non e bastardo oder nata d'amore di … und sind stolz, daß sie nicht von Kriminellen abstammen und im Gefängnis geboren wurden. Die, die am Heiligen Abend in die pila gelegt worden sind, haben das Gefühl, höher zu stehen als andere. Von unserem Jahrgang kamen sechs an Weihnachten und fünf an Silvester.
    Es liegt nicht daran, daß sie kein Geld haben, flüstert einer, es liegt daran, daß sie uns nicht wollen, diese Mütter, uns nicht brauchen können. Sind wir an diesem Punkt angelangt, geht unser Flüstern in lauten Streit über, und es dauert nicht lange, bis sich die Schritte unseres Aufsehers dem Schlafsaal nähern. Wir schleichen in unsere Betten, ziehen die Decken über den Kopf. Irgendwann schlafen wir dann ein.
    Ich höre über drei Betten hinweg das Schluchzen von Roberto. Ich schleiche zu seinem Bett, lege mich zu ihm, streichle ihn. Sein Schluchzen verebbt von einer Sekunde zur anderen, er schiebt mich grob aus seinem Bett hinaus und murmelt etwas von Sünde, die er nicht begehen wolle. Und er hält es für eine Lüge, wenn ich ihm sage, daß auch ich diese Sünde keinesfalls begehen will. Er dreht sich auf die andere Seite, zerrt seine Decke um sich herum, als seien dies noch die Halt gebenden Bänder seines einstigen Wickelballens, mit dem er in die pila gelegt wurde. Dabei ängstigen wir uns noch heute alle zu Tode, wenn wir sehen, daß wir einst wie Mumien zusammengeschnürt wurden, Arme und Beine an den Körper geklebt, nur der Kopf eine Spur beweglich.
    Liege ich in solchen Nächten wieder in meinem

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