Der Brennende Salamander
freie Minute mit Daniele, und als er die Namen der Farben in- und auswendig kannte, gingen die beiden zu Malern und schauten ihnen bei der Arbeit zu.
Ich ging nicht mit. Mehr oder weniger aus dem Grund, weil ich mich vernachlässigt fühlte. Und weil ich den Eindruck hatte, daß Rocco sich nun entschieden mehr für die Malerei interessierte als für mich. Ich fühlte ihn von mir wegdriften, und als Rocco eines Abends wagte, Daniele mit ins Ospedale zu bringen, schäumte meine Wut über.
Was soll er hier? fragte ich zornig.
Ich wollte ihm zeigen, wie wir wohnen, sagte Rocco, nicht ganz so rasch wie normalerweise.
Und was willst du ihm zeigen? Die pila etwa? Die Bücher, in denen unsere Geschichten aufgeschrieben sind? Den Schlafsaal? Unsere Ammen?
Rocco lief rot an. Wo wir essen und schlafen und lernen. Was sonst, sagte er dann zögernd.
Interessierst du dich dafür? fragte ich Daniele grob und so, daß er nur hilflos mit den Achseln zuckte. Dann sagte er: Ja, schon. Eigentlich. Ich glaube es.
Und was interessiert dich daran? setzte ich mein Verhör fort. Was ist das hier für dich? Ein Löwenzwinger? Ein Käfig für Papageien? Eine colombaia ? Oder was sonst?
Ich hatte den Eindruck, daß Daniele bei jeder Frage mehr in sich zusammenkroch. Schließlich legte er Rocco die Hand auf die Schulter und wandte sich zum Gehen. Ich muß meinem Onkel helfen, sagte er hastig und rannte davon.
Rocco blieb stehen und ballte die Fäuste. Gehört es dir, dieses Ospedale? fragte er dann kalt. Hast du es gebaut oder Brunelleschi? Verdienst du etwa das Geld, damit wir hier leben können? Bist du vielleicht der Abakusmeister, der uns die Zahlen beibringt? Die Köchin, die für uns kocht? Der Priester in unserer Kapelle?
Ich ließ ihn stehen und ging langsam durch das Tor hindurch in den hinteren, verwilderten Teil unseres Gartens, den ich sehr liebte. Ich drehte mich nicht mehr um, aber ich wußte, daß er mir nicht folgte.
Am Abend lag Rocco nicht in seinem Bett. Er lag auf der Krankenstube, weil er spät nochmals in die Stadt gegangen war und in einer Kapelle, in der gebaut wurde, vom Gerüst gefallen war, als er ein bestimmtes Bild aus der Nähe betrachten wollte. Er hatte sich den Fuß gebrochen und brauchte Pflege. Und Abwechslung gegen die Langweile wäre gewiß auch gut, sagte die Schwester. Schuldbewußt, wie ich war, wollte ich ihm beides angedeihen lassen, zumal ich froh darüber war, daß er die nächsten Tage nicht zu all den Bildern gehen konnte, die er sich mit Daniele inzwischen ›erobert‹ hatte. Nun gehörte er für acht Tage zunächst einmal mir.
Ich brachte ihm gleich am nächsten Morgen ein Geschenk, von dem er wußte, daß es kostbar war: ein Wachstäfelchen, auf dem er Skizzen machen konnte. Über die häßliche Szene mit Daniele sprachen wir nie mehr, es war so, als habe es sie nicht gegeben. Und als sei nie Eifersucht zwischen uns aufgebrochen. Auf jenem Marienbild waren alle älteren innocenti in Schwarz, keiner anders. So hatte ich es gern. Daß Rocco durch das Zusammensein mit Daniele vielleicht nicht ganz so schwarz sein, vielleicht andere Kleider tragen wollte, falls es erlaubt gewesen wäre, gefiel mir nicht. Aber es gelang mir nicht, über diesen Gedanken mit ihm zu reden. Es gab da eine undurchlässige Ebene, und ich hatte den Eindruck, Rocco komme mit seinen Gedanken genau bis zu dieser ersten Malschicht, das, was darunter lag – ein Kreidegrund, ein Halbkreidegrund, Ölgründe oder andere Grundierungen –, erreichte er nicht.
Eine ganze Weile waren dann die Malerei und die Frage, ob sie je mehr sein würde als ein Wunschtraum, kein Thema mehr: Im Ospedale wurden wir für unsere zukünftigen Berufe ›aussortiert‹, wie Matteo einmal aufsässig sagte, eineUnternehmung, die wilde Dispute entfachte. Wer was werden wollte oder mußte, darüber gab es mit unseren Lehrern und dem Vorstand des Instituts heftige Debatten. Gefragt waren natürlich vor allem die Berufe für die Arte della seta: Seidenspinner, Seidenwirker, Seidenfärber, Seidenhändler. Aber manchmal hatte ich auch den Eindruck, daß wir dem Dutzend nach angeboten wurden: sechs Matrosen für die Seefahrt, sechs Wollschläger für die Arte della lana, sechs Mann für andere Zünfte. Vielleicht war es ihnen auch gleich, wo wir landeten, egal ob wir bucklig waren oder schlecht sehen konnten, unter kamen wir in jedem Fall, weil man wußte, was man an uns hatte. Wenn ich aber wagte, dieses oder ähnliches zu äußern, lernte ich
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