Der Brennende Salamander
was sie dafür hielten.
Ich konnte meinen Augen nicht trauen, aber es war so: Reliquien waren kostbar in unserer Stadt, und eine Reliquie von Savonarola zu besitzen, war sicher etwas vom Kostbarsten, was man sich vorstellen konnte. Sie prügelten sich also und warfen wohl einen der Karren um – genau konnte ich es in dem Gewimmel nicht sehen. Ich rannte hinzu und zerrte Rocco, der bereits heftig an der Backe blutete, am Ärmel aus dem Knäuel der sich Prügelnden.
Du wirst es nicht tun! schrie ich dabei und schlug auf ihn ein, so daß später nie klar war, woher seine Wunde eigentlich stammte. Aber Rocco schien mich kaum wahrzunehmen, er hatte den gleichen starren, verbissenen Blick wie die übrigen, die vermutlich alle zu den ›Kindern des frate ‹ gehört hatten. Aber es prügelten sich auch Erwachsene.
Daniele stand abseits, als warte er auf irgend etwas. Daß dann ausgerechnet er, der sich nicht geprügelt hatte, ein winziges Stück bekam, das herunterfiel und das er nur aufzuheben brauchte, empfand ich irgendwie als Gerechtigkeit. Dabei war ohnehin keinesfalls sicher, ob das, was er da mitnahm, nicht lediglich ein Stück verkohlten Reisigs war oder doch ein kleiner Rest von einem der drei verbrannten Körper, deren Brandgeruch noch einen halben Tag über der Stadt hing.
Aber immerhin, Daniele hatte eine heilige Reliquie und versteckte sie zunächst. Sie war nicht im Ospedale, und niemand wußte, wo er sie verborgen hatte.
Im Schlafsaal, wo wir Roccos Wunde zunächst versorgten, gab es dann die nächste Auseinandersetzung, diesmal allerdings nur mit Worten. Die Leichen waren mit Steinen beworfen worden, und der Streit, wer dabei mitgemacht habe oder mit anderen, die mitgemacht hatten, nur verwechselt worden sei – vor allem, ob auch welche aus dem Ospedale dabeigewesen seien –, dauerte Stunden, denn schließlich waren auch bei uns nicht alle Anhänger des frate gewesen. Zudem wurden aus diesem Anlaß Dinge ausgegraben, die mit diesem Tag und dem Tod Savonarolas gar nichts zu tun hatten: Die Kontrahenten warfen sich eine tote Katze und den Unrat um die Ohren, die einst irgendwer in eines der ›Feuer der Eitelkeiten‹ geworfen hatte, und daß bei den Predigten die Frauen ständig durch ein riesiges Tuch von den Männern ferngehalten wurden, erschien plötzlich ein Argument zur Verdammnis, obwohl das früher kaum jemanden gestört hatte.
Schließlich waren wir alle zu ermattet, um weiter zu streiten, und ob Daniele nun ein Stück von Savonarola oder ein Stück von Silvestro oder Domenico oder nur ein verkohltes Reisigteil ergattert hatte, interessierte auch niemanden mehr. Die meisten weinten sich nun in den Schlaf, als hätten uns unsere Eltern ein zweites Mal verlassen. Und Tage danach waren wir noch verstört, gingen in den Abendstunden zum Richtplatz auf die Piazza della Signoria, wo sie den frate ermordet hatten, und beteten für ihn.
Wir haßten den Papst, schworen Vergeltung, wohl wissend, daß unsere kindlichen Rachegedanken niemanden auch nur ein Haar krümmen würden. Und wir legten Gelübde ab: Ich beschloß, die Haare immer kurz zu tragen, so wie es Savonarola gefordert hatte. Ich wollte nie Schmuck tragen, keine prunkvollen Kleider und gelobte, die Fastentage aufs strengste einzuhalten und für immer und alle Zeiten auf Karneval zu verzichten.
Rocco war anders. Er erlebte die Dinge im Augenblick vielleicht heftiger als ich, aber dann machte er einen harten Schnitt. Es war gewiß nicht so, daß er nach Savonarolas Tod sein Fähnchen nach dem Wind hängte, obwohl uns angeraten wurde, alles zu vergessen, da diese Zeit nun einfach vorüber sei und eine neue anbrechen würde. Natürlich konnte niemand in die Köpfe der Bürger hineinschauen, und wenn auch nichts nach außen drang, so bedeutete dies keinesfalls, daß es nicht in den Hirnen weiterwirkte.
Ich zum Beispiel ›badete‹ nach wie vor in den Ideen des frate , vor allem in seinen Keuschheitsvorstellungen. Sie schienen mir exakt auf mich zugeschneidert, so passend, als hätte ich sie selbst erfunden. Mir schien, als hätte ich den anderen, die in der Sünde lebten, etwas voraus, als könnte ich auf sie herabschauen, als sei ich ein innocenti im wahrsten Sinne des Wortes.
Rocco also war ziemlich rasch zu einem normalen Leben zurückgekehrt. Über meine Gelübde lachte er. Und während ich über lange Zeit allen Farben abhold war, trat bei Rocco genau das Gegenteil ein: Es war der Zeitpunkt, zu dem er die Malerei für sich
Weitere Kostenlose Bücher