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Der Brennende Salamander

Der Brennende Salamander

Titel: Der Brennende Salamander Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Bayer
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mich allzu interessiert zu zeigen, aber offenbar waren meine Befürchtungen unberechtigt, er übersah einfach, daß ich es am liebsten gehabt hätte, wenn er jegliches Wissen, das er sich angeeignet hatte, sofort mit mir geteilt hätte. Man nannte uns manchmal ›unsere Zwillinge‹, und ich war der Meinung, daß man als Zwillinge alles gemeinsam zu besitzen hatte, ganz gleich, ob es den einen interessierte oder nicht. Dieser Masaccio, was ist mit ihm überhaupt? hakte ich nach, während Rocco ohne Klagen seine kaltgewordenen Lumace vom Teller kratzte.
    Er kann machen, daß man das Gefühl hat, in ein Bild hineinschreiten zu können, sagte Rocco mit einem seltsam verklärten Blick.
    Ich lachte. Du kannst doch in jedes Bild hineinschreiten, was soll da besonderes dran sein?
    Nein,das genau kann man eben nicht, beharrte Rocco, und dies so laut, daß unsere Tischgenossen sich einschalteten und wir uns eine Weile über Bilder unterhielten, in die man angeblich hineinschreiten konnte, und was dies bringen würde, falls man es vermochte. Einer kannte das Bild, von dem Rocco gesprochen hatte und sagte, daß es ›Die Heilige Dreifaltigkeit‹ heiße.
    Am nächsten Tag malten wir also in unserer freien Zeit das Hinterzimmer der bottega aus, dann ein weiteres, weil auch hier die Farbe abblätterte, und schließlich ein drittes. Dies alles mit einer Farbe, die eigentlich nichts mit jenen Farben zu tun hatte, die wir auf der Palette des Malers gesehen hatten, und die offenbar auch keinen Namen hatte.
    Es ist Farbe, sagte der Mann achselzuckend, als wir ihren Namen wissen wollten, Farbe, mit der man Räume ausmalt.
    Wir brauchten zwei Abende für diese Arbeit, dann forderten wir unsere Belohnung. Sie sah allerdings anders aus, als wir es uns vorgestellt hatten: Ein Junge, einige Jahre jünger als wir, tauchte auf und erklärte sich bereit, uns die Namen der Farben zu erklären, da sein Onkel in der bottega gebraucht werde.
    Rocco brauste auf, die Arbeit sei getan, und wir könnten den Anstrich schließlich nicht wieder abkratzen. Also mußten wir hinnehmen, was uns geboten wurde und was, wie sich später herausstellte, nicht unbedingt von Übel war: Der Junge hieß Daniele und wollte Maler werden. Daher kannte er sich ziemlich gut mit den Farben aus, die er im Geschäft seines Onkels zu verkaufen hatte. Im nachhinein läßt sich sagen, daß wir bekamen, was wir uns erhofft hatten. Oder sogar mehr: Wir bekamen Daniele.
    Und wenn auch der Onkel zu den Leuten gehörte, die uns als exotische Tiere betrachteten, sobald sie von unserer Herkunft erfuhren, und wenn er auch wenig davon angetan war, daß wir so oft mit Daniele zusammen waren, weil er hinter allem Sodomie witterte – er war ein Anhänger Savonarolas und nahezu besessen von dieser Idee –, so geschah der Einstieg in unseren späteren Beruf doch ziemlich problemlos. Und es störte uns wenig, wenn dieser Onkel später, als er seine Fittiche nicht mehr über dem Neffen ausbreiten konnte, Daniele ständig in unserem Beisein fragte, ob er auch richtig beichte. Richtig hieß, falls gleichgeschlechtlicher Verkehr stattgefunden hatte, mußte man dies wenigstens in aller Ausführlichkeit beichten, und wir hatten manchmal den Eindruck, als beschäftige sich der gesamte Klerus ständig mit der Sodomie, um sie auszurotten.
    Ehe ich zu Masaccio und seinemBild ›Die Heilige Dreifaltigkeit‹ zurückkehre, muß ich noch sagen, daß wir Daniele später über Jahre hinweg nicht mehr sahen, da seine Mutter eine dritte Ehe mit einem Matratzenmacher in Siena eingegangen war und Daniele in dessen bottega Matratzen herzustellen und zu verkaufen hatte, ganz gleich, ob ihm dies gefiel oder nicht.
    Als ich zum erstenmal vor diesem Bild stand, das so berühmt sein sollte, fiel mir zunächst nichts Besonderes auf. Ich sah in einer Wölbung mit hohem Himmel Gottvater hoch über dem Kreuz, an dem eine Christusfigur hing, und zu deren Füßen vier Gestalten mit betenden Händen, eigentlich nicht viel anders als ähnliche Bilder. Vage fiel mir ein Bild von Giotto ein, das ich in der Bardi-Kapelle in Santa Croce gesehen hatte und das die Erscheinung des heiligen Franziskus darstellte, ein Bild, das mir verwandt erschien, was die Räumlichkeit betraf, aber es war rund hundert Jahre zuvor entstanden, und Rocco meinte, ich müsse mich täuschen, es habe mit dem Masaccio gewiß nichts zu tun. Auf jeden Fall waren die Wochen nach dem Besuch bei dem speziale eine aufregende Zeit. Rocco verbrachte jede

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