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Der Brenner und der liebe Gott

Der Brenner und der liebe Gott

Titel: Der Brenner und der liebe Gott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Haas
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hätte sich nicht vom Reinhard einschüchtern lassen. Dann hätte der Irre mir nicht mein Kind wegnehmen müssen.«
     
    Der Brenner hat ihr angesehen, dass sie ihm nur die halbe Wahrheit erzählt. Aber das hat er ihr nicht gut zum Vorwurf machen können. Er hat ihr ja auch nicht alles erzählt, sondern im Gegenteil, er hat sie jetzt sogar gefragt, ob sie inzwischen vom Knoll etwas gehört hat, sprich absichtliche Irreführung.
     
    »Wissen Sie, was ich glaube«, hat sie gesagt, während sie zum vierten Mal an der Schottentor-Ampel Rot gehabt hat. »Der Knoll wartet seelenruhig darauf, dass ich diese Geschichte mit der illegalen Schwangerschaftsunterbrechung selber der Polizei erzähle. Dann bin ich beruflich ruiniert, und er schickt mir die Helena zurück.« Einen Moment hat ihr die Stimme versagt, aber Superbeherrschung und nicht einmal eine halbe Träne. »Und er hat alles erreicht, ohne dass er sich überhaupt jemals gemeldet hat. Dann ist er mich los, ohne dass er mit mir in Kontakt getreten ist.«
     
    »Das wäre ja wirklich nicht blöd eingefädelt«, hat der Brenner zugeben müssen. »Aber meistens denken Verbrecher nicht um so viele Ecken.« Er hat ihr nicht gut sagen können, dass der Knoll tot ist. Ersäuft in der hauseigenen Kressdorf-Senkgrube.
     
    Stattdessen hat er nur das Foto herausgezogen, das der Knoll ihm gegeben hat: »Ist das Ihre minderjährige Patientin?«
    Die Frau Doktor hat ihn so angeschaut, als wäre der Brenner selber der Knoll.
    »Wissen Sie, wo sie wohnt?«, hat der Brenner sie ganz ruhig gefragt.
    »Woher haben Sie das Foto?«
    Der Brenner hat den Kopf geschüttelt. »Sie haben doch bestimmt irgendwo ihre Adresse.«
    »Sie sind wohl schwer von Begrifft Ich möchte nicht, dass Sie dieses Mädchen finden. Um sie geht es nicht.« »Und wo wohnt sie?«
     
    Die Doktorin hat das Lenkrad verrissen, ungefähr einen Zentimeter vor der bimmelnden Straßenbahn die Gleise überquert und in der Nebenfahrbahn auf einem leeren Taxiparkplatz zusammen gebremst. Sie hat den Brenner mit einem Blick angeschaut, als wäre das ganze Gespräch nur ein sadistisches Vorspiel gewesen für diese Sekunde, wo sie den Mann, der ihr Kind verschlampt hat, totbeißt.
     
    »Ich verstehe schon, dass Sie nicht Ihre Patientin in Schwierigkeiten bringen wollen. Dass es Ihnen nur um den Knoll geht. Aber auf dem direkten Weg kommt man nicht immer weiter«, hat der Brenner ihr erklärt und ist selber darüber erschrocken, wie sehr das beim Knoll der Wahrheit entsprochen hat. »Oft geht es nur über Umwege. Unsere Berufe sind da gar nicht so verschieden. Die Ärzte fragen ja auch, ob man in der Nacht kalte Zehen hat, wenn man wegen Kopfweh zu ihnen kommt. Und das ist am entgegengesetzten Ende vom Körper.«
    »Was Sie nicht alles wissen.«
     
    »Dass der Kopf das entgegengesetzte Körperende von den Zehen ist, das wissen sogar wir Nichtmediziner.«
     
    Aber im nächsten Moment wären der Brenner und die Frau Doktor fast der neueste Wiener Kriminalfall gewesen. Weil ein wütender Taxifahrer hat an die Scheibe geklopft, und wenn der Brenner nicht sofort vom Beifahrersitz aus die Tür verriegelt hätte, wäre garantiert alles aus gewesen. Er hat auf einmal eine Ahnung bekommen, wie die letzten Sekunden für den Knoll gewesen sein müssen, weil leider die Seitenscheibe einen Spalt offen, und die Atmosphäre im Wageninneren hat sich durch den Killertaxler verändert, als wäre das ganze Auto in eine Jauchegrube versenkt worden.
     
    Aber interessant. Für das Gespräch war dieser Angriff gut, weil durch das fluchtartige Weiterfahren ist ihre Unterhaltung wieder in Gang gekommen.
     
    »Ich kenne die Adresse dieses Mädchens nicht. Ich führe nicht Buch über meine Verbrechen.«
    »Namen hat sie auch keinen?«
     
    »Ich weiß wirklich nur ihren Vornamen. Und den hat sie mir in diesem Ausländer-Wienerisch gesagt. Wie die Kinder reden, die schon hier geboren sind, aber daheim wird noch eine andere Sprache gesprochen.«
    »Oida! Oida! Oida! Geh scheißen, habigsagt!« Der Brenner hat geglaubt, er kann der Frau Doktor damit imponieren, wie gut er diese Halskrankheit nachmacht. Vielleicht ein kleines Lächeln entlocken mitten in der verzweifelten Lage.
    »Sie können das ja richtig gut«, hat sie gesagt, aber nicht mit einem Lächeln, sondern so kühl, dass garantiert das Scheibenputzwasser eingefroren wäre, wenn er nicht vor ein paar Tagen trotz 25 Grad das Frostschutzmittel aufgefüllt hätte. In einer besseren Verfassung

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