Der Brenner und der liebe Gott
Grundsätzlich gilt sowieso noch beim besten Freund, dass er es wahrscheinlich noch am selben Abend seiner Frau erzählt, die hoch und heilig versprechen muss, es niemandem weiterzuerzählen, und ihre beste Freundin muss es eine halbe Stunde später wieder versprechen. Je intensiver einer sein Dichthalten beteuert, um so sicherer kannst du dir sein, dass es morgen die ganze Welt weiß. Und siehst du, der Brenner hat es nur so ruhig gesagt, und er hat als wahrscheinlich erster Mensch auf der Welt wirklich niemandem ein Sterbenswort erzählt. Das sind die Sachen, die mir am Brenner gefallen. Aber wo wir unter uns sind, verrate ich dir ausnahmsweise, was die Doktorin gesagt hat.
»Ich habe etwas getan, für das ich ins Gefängnis kommen könnte.«
»Sie?«
Pass auf, dass einer der Vorteile vom Autofahren die freie Schreimöglichkeit ist, gilt natürlich nur, wenn man allein drinnen sitzt. Jetzt warum schreit der Brenner neben der Frau Doktor so laut:
»Sie?«
Und was war das überhaupt für ein Schrei? Ein Überraschungsschrei? Ein Wutschrei? Ein Schmerzensschrei? Ich würde fast sagen, alles zusammen. Überraschung, weil er natürlich erwartet hat, ihr Geheimnis bezieht sich auf ihren Mann, den Baulöwen, der den Knoll in seine Hütte gelockt hat. Und Wut, weil er gespürt hat, bevor sie überhaupt mit dem Erzählen anfängt, ist sie schon entschlossen, die Hälfte zurückzuhalten. Und Schmerz muss ich dir wohl nicht erklären, wenn du als Kinderverlierer zum ersten Mal mit der Mutter redest, die ausschaut, als wären in zweiundsiebzig Stunden dreißig Jahre vergangen.
»Ja, ich«, hat die Ärztin leise geantwortet und ist von hinten angehupt worden für das Verbrechen, dass sie nicht noch bei Rot über die Kreuzung geräubert ist.
Ihr Schuldgeständnis hat den Brenner vollkommen hoffnungslos gemacht. Weil du darfst eines nicht vergessen. Niemand behindert eine Fahndung stärker als die Schuld-bei-sich-selber-Sucher, die immer nur die Ermittlungen aufhalten mit ihren Selbstvorwürfen.
Dem Brenner wäre viel lieber gewesen, sie hätte ihm etwas über ihren Mann erzählt. Aber von seinen Baugeschäften hat die Frau Doktor gar nicht viel Ahnung gehabt. Das ist ja oft so, dass man nicht genau weiß, welche Geschäfte der Ehepartner eigentlich so macht, Hauptsache, das Geld ist da, Hauptsache, die Villa ist da, Hauptsache, der Park ist da, Hauptsache, die Jacht ist da, Hauptsache, das Personal ist da, Hauptsache, die Kunst ist da, Hauptsache, die Wohltätigkeitssache ist da, Hauptsache, der Therapeut ist da, sprich, die wichtigsten Dinge müssen da sein, es geht gar nicht so um die eigenen Ansprüche, mein Gott, man selber könnte auch viel bescheidener leben, da würde man auch mit einer kleineren Villa auskommen, mit einem kleineren Park voller kleinerer Bäumchen, mit einer kleineren Jacht, mit kleineren Bildern und, wenn es sein muss, sogar mit einer kleineren Wohltätigkeitssache, aber für das Kind wäre es doch schade, wenn es in beengten Verhältnissen aufwachsen müsste, und darum ist es einem schon wichtig, dass der Familiensitz in weiter Entfernung von der Armutsgrenze errichtet wird. Aber jetzt rede ich schon so fanatisch wie der Knoll, so ein Denken ist ansteckend. Da muss man aufpassen, dass man nicht auf einmal mit einem Knoll sympathisiert, nur weil er in der Senkgrube vom Baulöwen gelandet ist.
Einen Moment hat der Brenner geglaubt, die Frau Doktor weiß, was mit dem Knoll passiert ist, und sie will es ihm berichten. Er hat recht vorsichtig gefragt, ob sie glaubt, dass zwischen ihrer Gesetzesverletzung und der Entführung ein Zusammenhang besteht, und die Frau Doktor ganz ruhig und sachlich: »Ich weiß es nicht. In meiner Situation glaubt man, alles könnte damit zusammenhängen.«
»Gegen das Gesetz verstoßen haben wir doch alle schon einmal«, hat der Brenner gesagt, rein aus Verlegenheit.
Er hat es sich schon denken können, dass sie nicht meint, zu schnell gefahren, falsch geparkt, nach Mitternacht laut Musik gehört, am Sonntag Staub gesaugt oder als Medizinstudentin einmal in der Boutique einen hübschen Pulli mitgehen lassen.
»Schwangerschaftsunterbrechung bei einem zwölfjährigen Mädchen.«
»Ist das verboten?«, hat der Brenner gefragt, um seine Erleichterung zu überspielen, dass sie nicht in den Knoll-Mord verwickelt war.
»Kommt darauf an.«
»Sie haben es wahrscheinlich für das Kind getan.«
Du siehst schon, aus schlechtem Gewissen ist der Brenner
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