Der Brenner und der liebe Gott
mehr auf der Seite der Ärztin als auf der Seite des Gesetzes gestanden. Oder nicht nur aus schlechtem Gewissen, sondern auch aus einer rein männlichen Sympathie für die Ärztin. Und professionell gesehen sowieso bei einem Geständnis immer besser, man gibt dem Gestehenden ein gutes Gefühl. »Gestehen kommt von Verstehen«, das hämmern sie dir regelrecht ein in der Polizeischule, quasi: Verhörregel Nummer eins, wenn Gewalt nichts nützt.
Die Doktorin hat ihn so angeschaut, dass gleich klar war, sie lehnt jede Entschuldigung ab. Da sind ja manche Leute wahnsinnig störrisch, die wollen eine Schuld, die sie einmal haben, nicht mehr hergeben.
»Ich wollte sagen, für das zwölfjährige Mädchen haben Sie es getan«, hat der Brenner erklärt. Weil ihm ist auf einmal vorgekommen, dass seine Antwort, sie hätte es für das Kind getan, falsch angekommen ist, dass die Frau Doktor vielleicht verstanden hat, sie hätte es für das abgetriebene Kind getan, dass sie womöglich vor lauter Selbstgeißelung glaubt, der Brenner nennt die abgetriebene Mücke »Kind«.
»Es war ein armes Mädchen«, hat die Frau Doktor gesagt. »Zuerst hat sie niemandem verraten, dass sie schwanger war, und dann war es zu spät. Aber ich hätte es doch nicht machen dürfen. Nicht mehr zu diesem Zeitpunkt. Und auch davor nicht, ohne es zu melden.«
Sie sind jetzt schon zum zweiten Mal zu der Stelle gekommen, wo sie vorher in den Ring eingebogen sind. Und durch diese zweite Ringrunde ist dem Brenner das Ganze vorgekommen wie eine Übergabesituation, wo der Entführer befiehlt, fahr so lange auf dem Ring, bis du die nächste Anweisung bekommst, quasi Zermürbungstaktik. Und womöglich sieht man dort deshalb Tag und Nacht so viele Autos im Kreis fahren, weil alle auf die nächste Anweisung von ihrem Entführer warten.
»Ich will mich auch nicht damit rechtfertigen, dass es Länder gibt, in denen es legal gewesen wäre«, hat die Stimme der Ärztin ihn aus diesen Gedanken gerissen. »Andererseits«, hat der Brenner gesagt, weil die Frau Doktor war jetzt so geknickt, dass er sie unbedingt trösten wollte.
»Was andererseits?«
»Andererseits« - das ist immer blöd, wenn man einen Satz mit »andererseits« beginnt und nicht weiß, was man nachher sagen will-, »wäre auch niemandem geholfen gewesen, wenn man mit der Abtreibung noch länger gewartet hätte«, hat der Brenner gestottert. »In welchem Monat war sie denn schon, wie sie zu Ihnen gekommen ist?«
»Wir rechnen nicht in Monaten, sondern in Wochen.« Das war ihre ganze Antwort.
»Verstehe. Früher hat man gesagt, im zehnten Monat, aber kein Geld zum Entbinden.«
Der Brenner hat geglaubt, er kann damit die Stimmung ein bisschen aufheitern, aber bei dieser Bemerkung ist die Ärztin vollkommen versteinert, und es hätte ihn nicht gewundert, wenn sie geradeaus in das Hotel Imperial hineingefahren wäre.
»Ich meine nur«, hat der Brenner gesagt. »Wenn es so arme Leute waren. Das Leben schon mit zwölf Jahren verpfuscht. Da muss man doch helfen. Man kann ja nicht einfach mit der Moral so ein Kind zwingen, dass es Mutter wird. Früher sind die Frauen bei illegalen Abtreibungen gestorben!«
»Ich bin nicht zu Ihnen gekommen, damit Sie mich trösten«, hat sie ihn unterbrochen. »Mein Problem ist, dass ich das nicht der Polizei erzählen kann. Ich wäre dazu sogar bereit gewesen. Aber mein Mann ist überzeugt, dass der Knoll genau das erreichen möchte.«
»Der Knoll hat davon gewusst?«
Dem Brenner ist langsam vorgekommen, er fährt Karussell, wie die Ringstraßenpaläste immer wieder an ihm vorbeigezogen sind, die Oper, die Hofburg, das Parlament, das Burgtheater, und wieder hinunter zur Börse, zum Ringturm, immer im Kreis herum. Oder ein paar Runden mit der Liliputbahn, aber aus irgendeinem Grund ziehen nicht Bäume an ihnen vorbei, sondern Gebäude, und aus irgendeinem Grund sitzt nicht die Helena neben ihm, sondern ihre Mama, und aus irgendeinem Grund ist er nicht glücklich, sondern, wie soll ich sagen. Verzweifelt wäre übertrieben, mehr so betäubt.
»Mein Mann hat sich an den Reinhard gewandt, und der hat dem Knoll geraten, sein Material nicht zu verwenden. Weil er ihm sonst die Kredite fällig stellt. Wir haben ja im Grundbuch gesehen, von welcher Bank der Knoll das Geld gehabt hat, mit dem er die Wohnungen im Haus aufgekauft hat.«
Verteidigungsministerium, Museum für Angewandte Kunst, Stadtpark, Schwarzenbergplatz, Oper.
»Inzwischen wäre mir lieber, er
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