Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld
aber die Ausnahme rechtfertigt sich), die ›Jagdgesellschaft‹, das neue Stück – jeweils zu den Aufführungsterminen – und im September 1974 ›Erinnern‹. Das Manuskript für den Roman ›Korrektur‹ erhalten wir so rechtzeitig, daß wir diesen Roman noch im Dezember drucken und Lese-Exemplare Ende Dezember verschicken können. Erscheinungstermin dann 15. März 1974.
Wegen der überraschenden Entscheidungen im Hinblick auf dieses neue Stück muß ich noch einmal in den nächsten Tagen nach Salzburg / Ohlsdorf fahren.«
Die angesprochene getrennte Aufzeichnung erfolgt im Bericht Thomas Bernhard, Besuch in Ohlsdorf, Dienstag, 7. August 1973 , den S. U. für die Chronik verfaßt:
»Ich kam eine halbe Stunde früher als vorgesehen, mein Leihwagen ließ mich die Distanz Großgmain [S. U. besucht dort die Witwe von Günter Eich, Ilse Aichinger] —Ohlsdorf rascher überbrücken. Er hörte den Wagen nicht in den Hof einfahren und war überrascht, als ich am Fenster klopfte. Soeben hatte er mein Bett gerichtet und hatte zwei Bügel in der Hand. Er sagte gleich zwei Dinge: Ich käme im entscheidenden Augenblick, jedoch sei er krank, habe 39 Fieber, sei angeschlagen, und er sei erst jetzt aus dem Bett aufgestanden.
Ich sagte ihm sofort, worin ich den entscheidenden Moment sähe: das Zuckmayer-Stück wird mit Sicherheit nicht fertig für die Salzburger Festspiele 1974, und ich nahm an, daß zur Debatte stünde, sein neues Stück zu den Festspielen des nächsten Jahres zu bringen. [Von Carl Zuckmayer wird kein Theaterstück bei den Salzburger Festspielen aufgeführt. Der Rattenfänger. Eine Fabel , seine letzte Arbeit für die Bühne, wird 1975 im Schauspielhaus Zürich uraufgeführt.] Genau so war es.
Er las in den ›Salzburger Nachrichten‹, daß das Zuckmayer-Stück auf 1975 verschoben sei. Das war ja aber sein Datum. Er wurde sofort, wie er sagte, ›wütend‹. Am Tage nach meinem Besuch hatte er eine Lesung im Rahmen der Salzburger Festspiele, von ihm aus als eine Art Versöhnung gedacht. Diese Lesung wollte er absagen, und er tat dies durch Herrn Schaffler vom Residenz Verlag. Dieser rief bei Herrn Kaut, dem Präsidenten der Festspiele, an, und dieser entwickelte verständlicherweise sofort die Idee, Bernhards Stück schon 1974 zu bringen. Ihm, Kaut, konnte das ja nur angenehm sein. Soweit die Vorgänge beim Eintreffen in Ohlsdorf. Bernhard sagte mir, daß er am nächsten Tag ein Mittagessen mit Kaut habe, bei dem die Entscheidung nun fallen müßte. Wir diskutierten sehr ausführlich das Für und Wider dieser Aufführung. Vom Stück selbst erzählte mir Bernhard sehr wenig, es sei eine Komödie, ein Märchen nach der Art von Strawinskys ›Soldaten‹, mit drei männlichen Hauptfiguren, dabei ein Regisseur, der seine eigene Inszenierung spielt, das Werk hätte sehr viel musikalische Elemente, es müßte also von einem Regisseur inszeniert sein, der vom Musiktheater eine Ahnung hätte. Der Titel stünde fest: ›Kopfstück‹. Ich sagte sofort, daß ich diesen Titel nicht gut fände. Er war überrascht über meine spontane Reaktion, seine Alternative: ›Quintett‹ schien mir freilich nicht besser. Wir diskutierten dann mögliche Regisseure. Außer den paar Namen, die einem ja immer wieder einfallen und die für das Stück und auch für Bernhard nicht in Frage kommen, nannte ich Everding, der für Bernhard zu alt war, dann Jan Groszmann aus Prag, der für Bernhard zu populär war, und schließlich Hans Hollmann, der ja immerhin Horváth, Hofmannsthal und Nestroy glänzend inszeniert habe. Gegen Hollmann reagierte er sofort spontan, er lehnte ihn ab. ›Er ist mir zu nah, er stammt aus Gmunden.‹ Es ist uns allen klar, daß die frühzeitige Aufführung des neuen Stückes alle an der Aufführung der ›Jagdgesellschaft‹ Beteiligten in Schwierigkeiten bringt; die Burg wird es sicherlich nicht gerne sehen, daß sie Ende April/Anfang Mai die ›Jagdgesellschaft‹ uraufführt, und im Juli ist schon das neue Stück da, von Peymann zu schweigen: mit seinem Ärger ist sicher zu rechnen, schon von der Tatsache her, daß Bernhard sich so schnell mit Kaut wieder verbrüdert hat, nachdem Peymann-Ganz, aber auch Thomas Bernhard sich solidarisierten, um dem juristischen Angriff der Festspiele gemeinsam zu begegnen. Schließlich erwogen wir zu nächtlicher Stunde, ob es nicht doch noch möglich sei, eine Flucht nach vorne anzutreten, d. h., die Theater einschließlich Peymann zu bewegen, die
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