Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld
weiteren Kompromiß könnte man sich vorstellen, daß man jedoch in der Rechtschreibung, nicht aber in der Groß- und Kleinschreibung Noten gibt.
Ich wäre Ihnen für eine Stellungnahme sehr dankbar. 1
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Siegfried Unseld
1 S. U. sendet diesen Brief an 60 Autoren des Verlags: etwa an Uwe Johnson (siehe Der Briefwechsel , S. 799f.) und Wolfgang Koeppen ( »Ich bitte um ein Wort . . .« , S. 255f.), und erhält 45 Antworten auf die gestellten Fragen. Der Anlaß war eine Bitte des PEN-Clubs Deutschland um eine Stellungnahme zur Rechtschreibreform. S. U. hält am 5. Oktober in Frankfurt am Main auf dem von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft veranstalteten Kongreß mit dem Titel vernünftiger schreiben. Reform der Rechtschreibung eine Rede, in der er aus den ihm zugesandten Antworten der Autoren zitiert. Zur Reaktion von Th. B. siehe Anm. 1 zu Brief 280.
[261]
[Ohlsdorf]
13. 9. 73
Lieber Siegfried Unseld,
es wird sich nicht umgehen lassen, dass wir uns in Kürze wieder treffen, ich bitte Sie, nach Salzburg zu kommen, wann es nur möglich ist, aber es muss ein Zeitpunkt sein, zu welchem Herr Kaut wieder von seinem Urlaub zurück ist; ich glaube, er ist weggefahren. Das lässt sich aber alles leicht von Frankfurt aus eruieren.
Die Theater, die von dem nutzlosesten Gesindel bevölkert sind, das ich jemals kennengelernt habe, schicken mir neuerdings ständig Telegramme und glauben, dass ich wie ein Affe fortwährend zum Telefon renne oder gar telegrafisch Entscheidungen geben kann. Auf alle diese Bequemlichkeitsformeln kann ich überhaupt nicht reagieren. In der Zwischenzeit haben sich mehrere »Fälle« angesammelt, die zu besprechen sind. Leider kann ich mich nicht damit einverstanden erklären, dass mit meinen Arbeiten jeder machen kann was er will zu allen nur möglichen Bedingungen, das geht nicht und darum muss wenigstens gesprochen werden. Was ich nicht kenne, muss ich ablehnen. 1
Was mich interessiert, ist nichts als eine gute Arbeit, nicht einmal die Menschen interessieren mich momentan und es kann lang dauern, bis sich das ändert.
Die Komödie habe ich Ende Oktober soweit, dass ich mit dem Regisseur darüber reden kann. Ich sehe nur Peymann als den besten, muss ich einen Kompromiss machen, so wird das gut zu überlegen sein, auf alle Fälle darf es nicht leicht zur Entscheidung sein. Was Sie persönlich mit allen Mitteln verhindern sollen, ist, dass, bevor ganz klar ist, dass Peymann den Salzburgern nicht tragbar ist, kein anderer Mann gebunden wird. Jeder dieser Regisseure ist, für meinen Kopf, nicht der beste. Aber mit Kaut will ich mich nicht wegen dieser Erkenntnis einfürallemal überwerfen. Mir geht es darum, in dieser Stadt noch einiges zu machen, auf den Kopf zu stellen, ganz einfach, da, wo ich her bin, als mein Kopf zu sein.
Burgtheater, Schillertheater, Residenztheater habe ich heute aufgefordert, aus dem Sommerschlaf zu erwachen und sich der Frage nach ihrer jeweiligen Disposition zu stellen. Müde Vereine, das alles, stumpfsinnige Kreaturen in allen Intendantenzimmern. Mich graust ganz davor.
Das Wichtigste ist eine optimale »Jagdgesellschaft« in Hamburg mit Peymann und Ganz und das gleiche als ein erstes Prinzip in Salzburg im nächsten Jahr.
Und einen »vorzüglich« ausgestatteten Roman im Frühjahr, den Sie aber erst später bekommen, weil ich ganz im Theater bin, und weil mich die Kritiker überhaupt nicht, und die berühmtesten am allerwenigsten interessieren.
Herzlich Ihr
Thomas B.
P. S.: Aus »Theater heute« hat mir Ihr Sekretariat nur die eine, die weniger genussreiche Seite zugeschickt, nicht die ausschlaggebendere. Aber das macht nix, ich kenne auch die andere. 2
1 Nach diesem Satz findet sich ein handschriftliches »x«, das am oberen Rand des Blattes als »Staatstheater Hannover« aufgelöst wird. Es dauert bis zum Jahr 1984, bis Die Jagdgesellschaft im Niedersächsischen Staatstheater in Hannover aufgeführt wird.
2 S. 8 des Sonderhefts der Zeitschrift Theater heute, Theater 1973 , enthält die Meldung, daß 16 von 35 befragten Theaterkritikern Bruno Ganz in seiner Rolle als Doktor in der Ignorant und der Wahnsinnige als »eindrucksvollsten Schauspieler« bezeichneten. S. 9 gibt eine Umfrage unter diesen Kritikern über das »wichtigste neue Stück« wieder: Der Ignorant und der Wahnsinnige erfährt die häufigste Nennung (8 Stimmen).
[262; Anschrift: Ohlsdorf;
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