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Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld

Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld

Titel: Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimund Fellinger
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Durchsuchungsprozedur, und selbst im Flugzeug waren noch junge Soldaten mit Maschinengewehr im Anschlag in Aktion.
Thomas Bernhard hat die neue ›Revolution‹ miterlebt. Nach innen hin ein Drama, nach außen hin eine Operette. Portugal sei nun ein kommunistischer Staat, von einem kommunistischen Militärregime regiert; Ziel sei nicht ein sozialistischer Staat wie die Sowjetunion oder China, sondern eher Kuba und die DDR. Alles würde sich in dieser Richtung entwickeln, wahrscheinlich sei man klug genug, um mit den anderen westeuropäischen Staaten nicht zu brechen, aber die Weichen seien definitiv gestellt und eine weitere Revolte gegen diese Entwicklung nach dem Auszug von Spinola nicht mehr möglich.
Im übrigen war er froh, ja gelöst, dieser Schwierigkeit entkommen zu sein. Fast heiter hörte er meine Überlegungen zu seiner 100.000-Mark-Forderung an. Den Darlehensvertrag und eine weitere Vereinbarung unterschrieb er sofort, DM 25.000.— nahm er lässig entgegen.
Danach war alles frei; er genehmigte die Aufführung des ›Ignoranten‹ in Braunschweig, die Aufführung von ›Macht der Gewohnheit‹ in Rotterdam und Ljubljana, und interessiert nahm er die Meldungen der geplanten Aufführung des ›Präsidenten‹ entgegen. Am 20. Mai in Wien, Regisseur Ernst Wendt und Hauptprotagonisten Beck und Krottendorf. In Stuttgart sollen Beckmann und Heerdegen die Hauptrollen spielen, und Anfang oder Mitte Juni wird Dorn mit zwei Männern (Held und Holtzmann) den ›Präsident und Präsidentin‹ herausbringen. Er war froh. Vor allem Wendt schien ihm sehr einzuleuchten.
Die ›Korrektur‹ hat er definitiv für Ende April versprochen, wahrscheinlich wird er mir sie dann Mitte Mai in Wien geben.
Er hatte ein sehr schlechtes Gewissen wegen seines Auftretens in der Senator-Lounge vor 14 Tagen. Ich habe ihm auch noch einmal gesagt, daß er alle seine Aktionen mit mir machen könnte, doch nicht gegen mich, und ich sagte ihm, daß ich gerade in der Senator-Lounge nahe dabei war, aufzustehen; nur der Respekt vor seiner Arbeit hätte mich abgehalten.
Er ist und bleibt ein merkwürdiger Mann. Sicher ein Genie, aber auch mit den Gefahren eines Genies geschlagen. Maßlosigkeit, Irrealität und bereit, in materiellen Dingen immer seinen Partner zu erpressen. Andererseits war er liebenswürdig, meiner Frau gegenüber chevaleresk, und er fühlte sich ungeheuer wohl in der Umgebung der Klettenbergstraße, wo die zwei chinesischen Vasen auf dem Kamin standen, die er meiner Frau geschenkt hatte.«
    2    Die Macht der Gewohnheit tourte 1975 in den deutschsprachigen Ländern; zum Programmheft siehe Anm. 1 zu Brief 299.

[313; Anschrift: Ohlsdorf]
     
    Frankfurt am Main
    24. März 1975
    Lieber Thomas Bernhard,
    herzlichen Dank für Ihren Brief vom 18. März. Auch ich fand unsere letzte Begegnung sehr angenehm. Der Vino Tinto war übrigens ausgezeichnet, und selbst die kandierten Reineclauden waren und sind köstlich.
    In Wien scheint alles normal vor sich zu gehen, Wendt probt.
    Wir werden die Fernsehrechte für Peymann reservieren. 1
    Die Tournee hat nach wie vor begeisterte Kritiken. Minetti steigert sich ganz offensichtlich.
    Ich schicke Ihnen das Tournee-Programm mit gleicher Post zu und versuche, auch einzeln Bände der BS und der neuen Produktion zu schicken. 2
    Ich hätte sehr gerne, daß Sie in der zweiten September-Hälfte doch einige Lesungen machen. Sollten wir das nicht tatsächlich unternehmen? Wir veranstalten in dieser Zeit eine Suhrkamp-Buchwoche, und ich sähe Sie dort gerne lesend, parlierend. Ich bin dann gerne auch mit von der Partie.
    Schöne Grüße
    Ihr
    [Siegfried Unseld]
    1   Fürs Fernsehen aufgezeichnet und sowohl im ZDF (11. Juli 1978) als auch im ORF ausgestrahlt wird allerdings die Aufführung des Präsidenten im Bayrischen Staatsschauspiel in München (Erstaufführung: Juli 1976). Regie: Michael Degen, Präsident: Kurt Meisel, Präsidentin: Maria Becker.
    2   Die Anlage läßt sich nicht identifizieren.

[314; Anschrift: Ohlsdorf]
     
    Frankfurt am Main
    25. April 1975
    Lieber Thomas Bernhard,
    unser Termin naht heran, wir hatten ja vereinbart, daß ich bis Ende April das Manuskript »Korrektur« erhalte. Ich lege darauf den allergrößten Wert. Bitte, schicken Sie mir ein Telegramm, wenn Sie es bei der Post aufgeben oder sonst einen Weg gefunden haben, es nach Deutschland zu expedieren.
    Wo werden Sie am 15. und 16. Mai sein? An diesen beiden Tagen bin ich in Wien; am 15. halte ich abends in der

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