Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld
Kino. Aber Wendt habe vorzügliche, ja vollkommene Arbeit geleistet. Sein Optimismus kam mir verdächtig vor.
Mein Verdacht sollte bestätigt werden. Die Aufführung kam über die Runden, wurde beifällig aufgenommen, selbstverständlich, das war zu erwarten, verließen einige Leute unter Protest die Aufführung, aber irgendwie war das Ganze nicht befriedigend. Die beiden ersten Akte waren zu lang, die Schauspielerin der Präsidentin, Ida Krottendorf, war der Aufgabe nicht gewachsen, vor allen Dingen stimmlich nicht. [Präsident: Kurt Beck] Die fünfte Szene mit der Aufbahrung schien mir verfehlt, und zwar in allen Punkten. Ein kleiner, wie eine Mondrakete aussehender Sarg, peinliche Trauerbezeugungen. Sicher wird Peymann die Sache anders, härter inszenieren. Doch das Bühnenbild, mit Ausnahme der fünften Szene, war vollkommen [Bühnenbildner: Rolf Glittenberg]. Insgesamt gewann man bei dieser Aufführung den Eindruck, daß die Regie durch zu große Werktreue dem Werk mehr geschadet als genützt hat. Aber wir alle machen ja einen Fehler, wir nehmen Bernhards Werk ab und an zu genau. Ich hatte ihm vor einem halben Jahr beim ersten Lesen des Manuskriptes gesagt, daß die beiden ersten Akte zu lang seien. Daran erinnerte sich Bernhard, als wir nach der Aufführung darüber sprachen. Ich bin gespannt auf die Kritik.«
In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 20. Mai 1975 schreibt Georg Hensel unter der Überschrift Ein Begräbnis erster Klasse : »Thomas Bernhard hat eine erstaunliche Fähigkeit, aus seiner Unfähigkeit, einen Dialog zu schreiben, dramatisches Kapital zu schlagen. Vielleicht hat er dieses Talent jetzt ein wenig überschätzt.« Herbert Gampers Kritik in der Weltwoche ( Geisteswitterung des Zeitalters , 28. Mai 1975) beginnt mit den Sätzen: »Als ›Anarchistenstück‹ wurde das jüngste Stück des österreichischen Dunkelschreibers angekündigt. Doch es ist vielmehr ein Stück über die Anarchie und ein anarchisches Stück. Bei der Wiener Uraufführung wurde es verschlampt [. . .].«
In einer besonderen Notiz in der Chronik hat S. U. unter der Überschrift Wien, 15.-18. Mai 1975, Gespräche mit Thomas Bernhard vermerkt:
»Bernhard teilte mir mit, daß er nicht nur für die Salzburger Festspiele im Juli 1976 das Stück [ Die Berühmten ] schriebe, sondern noch einmal eines für Wien, und zwar für November 1976. Ich erschrak innerlich, weil ich Angst bekomme, von welcher Substanz aus Bernhard diese Stücke schreibt. Das Salzburger Stück soll ja noch einmal Erfolgreichen und ›Berühmten‹ gewidmet sein, das Wiener Stück dann ›Kritikern‹, aber es müßte bei diesen Stücken noch anderes hinzukommen. ›Ehrgeiz, Haß und Angst und dergleichen‹ – das kann jetzt nicht mehr ausreichen. Nach der Premiere wollte Bernhard nicht zur Premieren-Feier der Schauspieler gehen, wir trafen uns im 13. Bezirk in einem Garten-Café. Dort waren die Spiels, die Tante und der Architekt Hufnagl mit Frau, der zu den engsten Freunden und Beratern von Bernhard gehört; Wolfgang Schaffler hatte mich immer wieder auf ihn, Bernhards bösen Geist, angesprochen. Hufnagl ist ein aktiver, vitaler Bursche, nicht ohne Intelligenz, auch nicht ohne Respekt vor Suhrkamp, aber man wird mit ihm rechnen müssen. Frau Maleta hatte an diesem Abend ein besonderes Schicksal: ihr Mann war ja [als Präsident des Nationalrats] eine Zeitlang in Vertretung Präsident Österreichs gewesen, und durch sie hatte Bernhard jene Details der Hoheitsakte im Schlafzimmer erfahren; ihr Mann ging nicht zur Uraufführung (angeblich war er mit einer Freundin in Venedig, so wie der Präsident des Stückes mit einer Freundin in Portugal war). Frau Maleta war mit einem Freund, einem Zahnarzt (nicht, wie im Stück, mit dem Kaplan oder Fleischhauer), bei der Premiere. Das Merkwürdige: die von Ida Krottendorf gespielte Präsidentin glich Frau Maleta aufs Haar, doch das sind Nuancen sicherlich nur für Kenner.«
Schon in der darauffolgenden Woche treffen sich Th. B. und S. U. erneut; im Reisebericht Stuttgart, 21./22. Mai 1975 des Verlegers heißt es dazu:
»Abends deutsche Erstaufführung von Thomas Bernhards Stück ›Der Präsident‹. Genau das Gegenteil von Wien: die ersten beiden Akte waren hervorragend, und man sah, es hängt viel von den Schauspielern ab. Edith Heerdegen [als Präsidentin] und Doris Schade [als Frau Fröhlich] waren hervorragend, die eineinhalb Stunden gingen spielend vorüber. Nach der Pause jedoch das Gegenteil, der
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