Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld
Post nach Frankfurt abgeht. Ich bin von dem Manus endlich befreit und kann mich ganz dem »Roman« widmen. Ich denke, es ist eine Prosa geworden, die mich »glücklich« macht . . ..
Was Kant betrifft, bitte unter keinen Umständen University also Juniversity, sondern immer Universität ! University verträgt sich mit Kant ganz und gar nicht.
Ich bin wieder in der »Unruhe« – ich glaube, der Titel wird bleiben.
»Ja« wäre am besten als weisses Buch, schwarz beschriftet. Ich freue mich auf den Streifen unter dem »Ja«.
Hier habe ich die beste Arbeitsmöglichkeit im Augenblick und ich will sie mir über den Dezember hinaus erhalten. Ich bin hier jederzeit erreichbar.
Auf dem Kobenzl hatten wir angenehme Stunden, die noch lang ihre Wirkung gehabt haben. Wir steuern ein gutes Schiff – auf hoher See, wie die vor meinem Fenster, die so aufgebracht ist, wie ich sie noch nicht gesehen habe.
Tag und Nacht die Unruhe des Meeres vor und unter mir, was brauche ich mehr. Die Ergebnisse sind wichtig, sonst nichts.
Ihr Thomas B.
P. S.: Die Terrorismushysterie 1 hat sich auch auf den Stuttgarter Schauspieldirektor ausgewirkt, der auf ein paar Tage herkommt und dann im Januar mit den Proben beginnt. Es ist also Februar, wenn Kant an Land geht.
1 Claus Peymann gerät im Kontext der Ereignisse des »Deutschen Herbsts« in die Schlagzeilen, als er eine von Ilse Ensslin, der Mutter Gudrun Ensslins, im Juni 1977 initiierte Spendenaktion unterstützt, die dem in Stammheim inhaftierten RAF-Angehörigen Jan-Carl Raspe zu einer Zahnbehandlung verhelfen soll. Der Vorfall wird von der Bild -Zeitung aufgegriffen, die Peymanns Einsatz anprangert – in der Ausgabe vom 29. August 1977, einen Monat nachdem Jürgen Ponto, der Vorstandssprecher der Dresdner Bank, von Mitgliedern der RAF ermordet worden ist, eine Woche bevor Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin Schleyer entführt und vier seiner Begleiter erschossen werden. Angesichts der angespannten politischen Lage wird im baden-württembergischen Landtag über eine fristlose Kündigung des Schauspieldirektors diskutiert. Man einigt sich schließlich mit Peymann darauf, daß er so lange am Württembergischen Staatstheater bleibt, bis sein Vertrag im August 1979 ausläuft. Benjamin Henrichs schreibt in der Zeit (23. August 1977) unter der Überschrift Hexenjagd, schwäbisch : »Die Fahndung nach den Entführern von Hanns-Martin Schleyer war bisher ohne Ergebnis. Um so mehr Erfolg hatte eine andere Verfolgungsjagd: die Suche nach den geistigen Helfern des Terrors, den sogenannten Sympathisanten. [. . .] Auch in Stuttgart hat man einen Sympathisanten entdeckt: den Schauspieldirektor Claus Peymann.« Die Zeit druckt am 7. Oktober den per Telegramm eingegangenen Kommentar von Th. B. zu diesem Artikel unter den Leserbriefen: »zu hexenjagd schwaebisch logisch gedacht perfekt geschrieben.«
Am Ende von Peymanns Stuttgarter Zeit steht die Regiearbeit für Vor dem Ruhestand , von Th. B. als Reaktion auf die Filbinger-Affäre geschrieben, die den Ministerpräsidenten am 7. August 1978 zum Rücktritt zwingt (vgl. Anm. 1 zur Brief 377). Die Uraufführung von Vor dem Ruhestand am 6. Juli 1979 kommentiert Benjamin Henrichs unter der Überschrift Herr Bernhard und die Deutschen in der Zeit : »Der Ministerpräsident Filbinger fand den Schauspieldirektor Peymann (diesen ›Sympathisanten des Terrors‹) an einem Staatstheater untragbar – und sorgte für seinen Abgang. Schöne Ironie: Der Ministerpräsident mußte noch vor dem Schauspieldirektor in den Ruhestand gehen. Hatte man doch [. . .] herausgefunden, daß auch er einmal ein Sympathisant war, und nicht nur das; einer, der als Hitlers Marinerichter ganze, tödliche Arbeit geleistet hatte.« Vgl. den Kommentar zu Vor dem Ruhestand , in Th. B.: Werke 18 , S. 377-382.
[357; Anschrift: Hotel Astarea, Mlini/Dubrovnik und Ohlsdorf; Telegrammnotiz]
Frankfurt am Main
21. Dezember 1977
Ich sage ein herzliches JA zu »Ja« — Stopp – Alles Gute und das Saisonübliche und auch für 1978 Ihr Siegfried Unseld
1978
[358]
Ohlsdorf
23. 1. 78
Lieber Siegfried Unseld,
ich bin zwei Tage in Ohlsdorf und kann mich schwer an die Scheusslichkeit der Alpen gewöhnen; aber das gibt sich.
Ich nehme Ihre Einladung nach Zürich gern an, Robert Walser liebe ich, seit ich ihn kenne und das ist drei Jahrzehnte lang. Ich kann am 13. 4. nach Zürich fliegen, von Wien aus, wo ich noch am 12. zu tun habe. Machen Sie
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