Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld
August in Frankfurt eintrifft), die Auslieferung von Holzfällen zu verschieben, reagiert S. U. nicht. Bereits am 21. August beantragt dieselbe Anwaltskanzlei, die Gerhard Lampersberg vertritt, in Wien den Erlaß einer Einstweiligen Verfügung, die der Firma Mohr die Auslieferung von Holzfällen untersagt. Diesem Antrag wird am 27. August stattgegeben. Am selben Tag reicht Anwalt Morent einen Strafantrag beim Landesgericht Wien gegen Th. B. als Autor und S. U. als Verleger des Romans wegen übler Nachrede und Beleidigung ein und beantragt eine Einstweilige Verfügung auf Beschlagnahme sämtlicher in Österreich vorhandenen Exemplare. Diesem Antrag wird am 29. August stattgegeben.
In der Chronik faßt S. U. die Ereignisse zusammen:
»27. August: […] Dann platzt eine Bombe. Wir werden in Wien durch unseren Allein-Auslieferer Mohr – Dr. Berger – aufgefordert, zu einer möglichen Einstweiligen Verfügung gegen Bernhards ›Holzfällen‹ Stellung zu nehmen. Mir erscheint das fast abwegig, daß eine solche Verfügung möglich sein sollte. […]
29. August: Jetzt ist es klar: bei Berger in Wien ist die Einstweilige Verfügung um 10.35 h eingetroffen. Ich bin sehr froh, daß ich sofort bei der Ankündigung der [gerichtlichen] Anhörung angeordnet habe, daß die Bücher beschleunigt nach Wien zu liefern und am Freitag [24. August] schon auszuliefern seien. Am Montag erfolgt die Auslieferung in den Bundesländern. Erst um 11.55 h erfuhr ich den Erlaß der Verfügung und entschied mich dann, um 12.50 h das Flugzeug nach Wien zu nehmen. Als ich ankam, holte mich Herr Zakravsky am Flughafen ab; der Verfügung ist durch ein zweites Gericht ein Strafverfahren gegen uns angefügt und die Beschlagnahme der Bücher angeordnet. Innerhalb von drei Stunden waren in den Buchhandlungen Wiens und Österreichs die Bücher beschlagnahmt. Hektische Stunden. Bei dem Anwalt von Dr. Berger, dann im Fernsehen ORF ein Gespräch mit dem Präsidenten der Österreichischen Anwaltskammer, Dr. Schuppich, Zusammensein mit Thomas Bernhard und Krista Fleischmann.
30. August: Zwei Anwälte weigern sich, die Sache Bernhard zu vertreten, mit diesem Nestbeschmutzer wollen sie nichts zu tun haben.
Ich gehe zu Dr. Perner, der den Auftrag übernimmt. […] Ich bin nach meinen Gesprächen mit den Juristen in Wien der Überzeugung, daß wir in Wien den Prozeß verlieren werden. Ich glaube kaum, daß es möglich sein wird, das Buch ›Holzfällen‹ in dieser Form noch einmal in Österreich zu verlegen.
In Frankfurt angekommen, gehe ich sofort zu RA Volhard. Wir müssen vorbereitende Maßnahmen treffen, daß wir nicht in Deutschland von einer Einstweiligen Verfügung überrascht werden. Diese braucht aber gar nicht in Frankfurt aufgegeben zu werden, sie kann an jedem Ort der BRD erfolgen, z. B. in Bad Reichenhall, wo die Österreicher das Buch einkaufen.
In allen Zeitungen und Zeitschriften, Rundfunk und Fernsehen wird die Beschlagnahme erwähnt. Ein großer Skandal, ein großes Aufsehen bahnt sich an. Dies ist einerseits natürlich sehr gut für das Bekanntwerden des Buches, aber unsere juristische Situation verschlimmert sich. Sobald noch mehr Personen ›entschlüsselt‹ werden können, verschlimmert sich unsere Möglichkeit, daß es sich hier um keinen Schlüsselroman handelt.
Telefonate hin und her. Hilde Spiel will ein Gutachten übernehmen, wenn sie mit Bernhard sprechen kann, der ihr vieles erklären muß. [Hilde Spiel übergibt am 11. Oktober 1984 Rechtsanwalt Perner ein sechseitiges Gutachten zu Holzfällen , das mit dem Satz endet: »Die von G. Lampersberg nachträglich unterzeichnete Anklage des Journalisten und Interpreten (nicht Urhebers kreativer Literaturwerke) Hans Haider muß in sich zusammenfallen, weil – die darin vorgebrachten Anschuldigungen unhaltbar sind – weil künstlerische Kategorien sich legalen Kategorien entziehen und die zur Bestrafung von Kriminalverbrechen und Vergehen entworfene Gesetzgebung im Bereich der Ästhetik einen Großteil ihrer Gültigkeit verliert.«] Auch RA Perner muß mit Bernhard sprechen, der aber ist selber sehr betroffen, betroffener, als ich dachte, und dabei hatte ich ihm damals ja gesagt, daß ich eine Einstweilige Verfügung erwarte, nur nicht wegen dieser Sache, sondern wegen jenes Präsidenten des österreichischen Kultursenats. [Rudolf Henz wird in Holzfällen charakterisiert als »stumpfsinniger, ordinärer, erzkatholischer Kunstmißbraucher«, als »der größte aller kulturellen
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