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Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld

Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld

Titel: Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimund Fellinger
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ist bei dem besonderen Wesen dieser Frau nicht zu schaffen. Denn sie ist körperlich schwach, aber geistig präsent, sie weiß, daß sie sterben muß, und übt sich nun in Milde und Verschwendung wie in fast brutalem Herrschertum. Bernhard, der bei ihr ist, mit ihr redet und immer wieder mit ihr über Sterben, Tod, Weiterleben, an das er ja nicht glaubt, aber die Frau glauben möchte, hat sieben Kilo verloren, was ihm an sich nicht schlecht steht, jedoch ihm einige Sorgen macht. Zwei Krankenschwestern bemühen sich abwechselnd um die Sterbende, er ist in der Nacht für sie da. […]
Thomas Bernhard bleibt den Abend und die Nacht über in der Wohnung, doch morgens um neun, wenn die erste Schwester kommt, geht er aus, um erst abends wiederzukehren. Man kann ihn also nur vor 9 Uhr erreichen, und er hat an diesem Tag den Anruf von Peymann erwartet, aber der kam nicht. Überhaupt, Peymann, wenn er käme, würde auch er scheitern. Das Problem sei überlebensgroß, aber er möchte fast wetten, wenn Peymann den Vertrag unterschriebe, so blieben bis zum vorgesehenen Antritt in der Burg noch zwei Jahre. Zeit genug, alles noch einmal zu ändern, oder zum Beispiel, um krank zu werden. Schon jetzt, bevor seine Zusage vorläge, würden Giftpfeile gerüstet. Ganz frei sprach Bernhard über sein Manuskript, das er immer selbst mit sich trug und mir erst am Schluß unserer Begegnung gab. ›Holzfällen‹, was natürlich nichts mit Holzfällen zu tun hat, und doch könnte er sich einen dunkelbraunen Umschlag mit weißer Schrift denken. Seine Lieblingsfarbe Dunkelgrün käme diesmal nicht in Betracht. Dieses Manuskript sei übrigens durch und durch autobiographisch. Die Hauptprotagonisten, die Eheleute Auersberger, gäbe es in der Tat (sie hießen Lampersberg), und die Freundin Joana, die durch Selbstmord endete, ist die Schriftstellerin und Schauspielerin Jeannie Ebner. Eines hat Bernhard freilich geändert: der Freund von Jeannie Ebner hatte ihr in Wien eine Wohnung eingerichtet und am Abend des Einzugs noch einen herrlichen Lüster anbringen lassen. Am Morgen hatte Jeannie Ebner sich an diesem Lüster aufgehängt. Das war Thomas Bernhard zuviel, das ist Kitsch, meinte er. In seinem Manuskript läßt er sie sich an einem Dachbalken erhängen. Ja, und dann käme etwas vor, was mir nicht gefallen würde. Ich müsse bedenken, das Buch schildere die Zeit vor zwanzig Jahren, also die endfünfziger Jahre. Dort habe er Jeannie Ebner verehrt und auch eine Dichterin, die im Manuskript mit dem Namen ›Juniröcker‹ auftaucht. Und jetzt müsse er sagen, daß das Werk dieser Schriftstellerin ihn doch tief enttäusche. Im übrigen ginge es bei ›Holzfällen‹ um die Geschichte eines ›künstlerischen‹ Nachtmahls. Es diene der Entlarvung der Hohlheit der Gesellschaft, die sich mit prominenten Schauspielernamen schmückt, und der Hohlheit prominenter Schauspieler, die sich durch die Gesellschaft korrumpieren lassen, und der Unmöglichkeit der Burg, die nichts anderes sei als eine Schriftstellervernichtungsanstalt usw. usw. […]
Er, Bernhard, habe in drei Briefen Schaffler eine Neuedition in einem Band und Neuauflagen der einzelnen Bücher verboten. Er wolle sie nicht mehr bei diesem Verlag haben. Schaffler habe ihn betrogen, indem er ihm den Verkauf seines Verlages an den Bundesverlag nicht mitgeteilt habe, und der Leiter des Bundesverlages habe in einer Pressekonferenz auf die Frage, was er tun würde, wenn unter dem Zeichen Residenz Thomas Bernhard seine Flüche, Anklagen, Verleumdungen gegen den österreichischen Bundeskanzler aufnehme, geäußert, daß das zu verhindern sei. Es fände also in Zukunft eine Zensur, wie auch immer umhüllt, statt, und in diesen Verlag wolle er nicht gehen. Ich habe ihm abgeraten, diese Auseinandersetzung öffentlich auszutragen, sondern ihm vorgeschlagen, er möchte noch einmal mit allen Argumenten einen Brief an Schaffler schreiben, der davon ausgeht, daß durch den Verkauf sich die Rechtsbasis geändert habe und daß er durch ein Bundesunternehmen sich keiner Zensur wie auch immer unterwerfen möchte. Er habe das Schaffler schon dreimal geschrieben, Schaffler habe immer ausweichend geantwortet und ihn zu einem Nachtmahl oder zum berühmten Apfelstrudel seiner Frau eingeladen. […]
Die Korrekturen zum ›Theatermacher‹ behielte er noch bei sich. Er sei jetzt einerseits mit dem Manuskript ›Holzfällen‹ beschäftigt gewesen, andererseits schriebe er jetzt an einem neuen Stück für Peymann, das ja

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