Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld
wieder an Sie geschrieben und den Brief aber nicht abgeschickt – ›was bringt’s‹.
Gibt es denn Probleme? – Ja, schon. Man müsse vielleicht einmal reden.«
Im Nachlaß haben sich drei nicht abgeschickte Briefe Th. B.s an S. U. vom 3., 10. und 18. November erhalten, die als Vorstufen des Briefs vom 26. November angesehen werden können; der erste, in Wien geschriebene, ist zugleich der ausführlichste:
»Lieber Doktor Unseld,
von Frau Zeeh weiss ich, dass von den ›Alten Meistern‹ bis jetzt über dreissigtausend Exemplare verkauft worden sind, das ist an sich erfreulich.
Aber in Spanien, wo ich letzte Woche gewesen bin, um wieder einmal eine andere als die grobe deutsche Sprache im Ohr zu haben, dachte ich, dass es über hunderttausend Exemplare sein könnten, wenn Sie meinen ›Alten Meistern‹ genau denselben Werbeschub gegeben hätten, wie dem absoluten Kleinbürgerschmarren von Martin Walser.
Sie haben in meinen Rolls-Royce nur einen Liter Normalbenzin gegossen und ihn stehen lassen, während Sie in den Opel-Kadett Ihres Freundes vier bis fünf Zusatztanks haben einbauen und mit Superbenzin haben anfüllen lassen.
Mit den ›Alten Meistern‹ hätte ich in Deutschland tatsächlich alle Chancen auch eines grossen Verkaufserfolgs haben können, die Sie mir ganz bewusst genommen haben, indem Sie alle Werbekraft in das Buch des Herrn Walser investiert und mich mehr oder weniger auf dem Boden liegen gelassen haben.
Ich verstehe Ihre Strategie, aber als gelernter Kaufmann und absolut hellhöriger Kompagnon wie von Ihrem Entschluss doch ganz rücksichtslos Betroffener, schmerzt sie mich natürlich.
Es geht mir nicht um Geld, das ich ja gar nicht brauche – und ich habe wenigstens immer zwei Drittel aller meiner Einkünfte, aus was für einem idiotischen Beweggrund immer!, verschenkt — , sondern darum, meine Meinung zu Vorgängen zu sagen, die mir nicht verborgen sind. Was Österreich betrifft, so stellte sich aus vielen Missverständnissen zusammen ganz von selbst ein ungeheuerer Verkaufserfolg ein und ich denke, wie grausam ginge das Schicksal mit mir um, hätte ich diesen unvorhergesehenen ›Erfolg‹ in Österreich nicht und wäre ich auf die Hilfestellung des Verlags allein angewiesen.
Wenigstens eine moralische Unterstützung habe ich von Ihrer Seite erwartet, nachdem mir mehrere parteihysterische sogenannte rote Minister und in der Folge ihr ganzer sogenannter roter verlogener Staat mehr oder weniger, wenn schon nicht, wie zuerst beabsichtigt, mit dem Irrenhaus, so doch mit totaler Verdammung gedroht hatten. [Th. B. bezieht sich hier auf die Äußerungen des damaligen Finanzministers Franz Vranitzky, wonach Angriffe auf Österreich wie in Der Theatermacher nicht mehr steuerlich subventioniert würden, und des Unterrichtsministers Herbert Moritz, der über den Autor von Alte Meister meinte, dieser werde immer mehr zu einem Thema der Wissenschaft, womit er aber nicht mehr allein die Literaturwissenschaft meine; Th. B. seinerseits antwortet mit den Artikeln Vranitzky. Eine Erwiderung , in: Die Presse , 13. September 1985, und Antwort. Neue Attacke des Dichters , in: Die Presse , 25. September 1985; siehe Th. B.: Werke 8 , S. 231ff.] Wenigstens ein Plakat für die Buchhändler, auf welchem der Verleger des Suhrkampverlages die Frage stellt, ob es statthaft sei, dass Minister im Amt massiv Verdammungs- und Todesurteile gegen einen seiner Autoren aussprechen, habe ich mir vorstellen können. Die Ungeheuerlichkeit der Anschuldigungen, denen ich in den letzten zwei Monaten bis zum heutigen Tag hier ausgesetzt war und bin, dürften Ihnen ja nicht verborgen geblieben sein. Aber Sie haben zu der ganzen Affaire geschwiegen.
Der grosse, von mir besonders apostrophierte grosse Verleger sind und bleiben Sie ja, aber vielleicht ist es ganz einfach aus einem lebensnotwendigen Selbstschutz heraus, besser, ich veröffentliche in Zukunft dann kein Buch mehr im Suhrkampverlag, wenn Herr Walser oder Herr Handke eins im Suhrkampverlag herausbringen. Gegen die beiden Herren habe ich, was die Werbeschatulle meines grossen Verlegers betrifft, keine Chance.
Ihr Verhältnis zu meiner Arbeit ist ein ideales: ambivalent, distanziert.
Ich wünsche keine Argumente!
Ihr unbarmherziger
Thomas Bernhard«
Am 18. Dezember 1985 kommt es im Hotel Sacher in Wien zu einer Aussprache mit S. U.; dieser schreibt in seinem Reisebericht Wien—Paris, 16.-19. Dezember 1985 :
»Dann kam auch schon Thomas Bernhard , der sich in der
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