Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld
Hotelhalle niedersetzte und sogleich in einer unvergleichlichen Bernhard-Suada zu einem Rundumschlag ansetzte. Die letzte Meldung, die er vor seinem Weggang in seiner Wohnung gehört habe, zwei Maurer hätten eine Mauer errichtet, der Sturm habe sie umgeworfen, einer sei tot, der zweite habe eine Beinverletzung. Wir könnten uns ja nun unser Schicksal aussuchen. Ich gab ihm die von Frau Zeeh hausgemachte Marmelade. Er fand das gleich höchst unnötig, er esse ja nichts Süßes, und man könne auch nicht immer dieselbe Marmelade essen, und nach neun Tagen würde sie ohnehin schimmlig und sei nicht mehr zu gebrauchen.
Ja, und dann der Verlag. Fellinger fände drei Fehler und lächle sonst eben. Aber vielleicht lächle er eben zu allen. Joachim habe wohl zu seinem Werk keine Beziehung. Von Elisabeth Borchers höre er auch nichts, ja, das seien noch Zeiten gewesen, als Anneliese Botond ihn gelesen habe. Dann aber kam er zum eigentlichen Thema des Abends. Die ganze Literatur, die die deutschen Verlage veröffentlichten, tauge wohl nichts, Mist, Schund, lauter Literatur-Scheußlichkeiten, und dann ginge sein Verleger her und würde ausgerechnet für das scheußlichste Werk werben und werben und werben. Alle Zeitungen seien voll von den Anzeigen eines nichtsnutzigen Romans, das sei ihm unfaßlich. Sicher, ihm sei alles egal, aber er müsse sich fast schämen, für einen solchen Verlag zu schreiben.
Als ich argumentieren wollte und ihm sagte, schließlich schreibe ja nicht der Verleger die Texte, sondern die Autoren, hatte er einen neuen Ausbruch. Eines der scheußlichsten Wörter der Moderne sei ›Texte‹, was das wohl hieße? Es sei doch wohl der letzte, billige, blecherne Ausdruck und hätte doch nichts mit Dichtung zu tun, ja, natürlich sei es vielleicht so, daß die deutschen Verlage (er sprach immer von deutschen Verlagen und meinte natürlich Suhrkamp) eben nur ›Texte‹ herausbrächten.
Der zweite Ausbruch ereignete sich, als ich ihm sagte, man hätte für ›Brandung‹ deswegen so intensiv geworben, weil Walser eben sechs Wochen lang gereist sei, Lesungen, Signierstunden durchgeführt, Vorträge gehalten habe, und der ›Markt‹ dränge darauf, daß man diese Aktivitäten mit Anzeigen begleite. Der ›Markt‹, das war nun wieder ein Ausbruch. Zwar kümmere ihn der Markt nicht, er sei ihm sozusagen scheißegal, aber es sei doch lächerlich, den Markt für ein minderwertiges Werk gewinnen zu wollen, undsoweiter, undsofort. Schließlich kam dann auch der Verleger in den direkten Beschuß, er fühle sich in seinem Kampf in Österreich allein gelassen, ›ohne Schützenhilfe‹. Als ich hier energisch wurde und ihm noch einmal unseren finanziellen Einsatz in Sachen der vorangehenden Klagen erwähnte, wurde er wieder böse. Er wolle das gar nicht hören, es gefiele ihm auch nicht, wie ich damals die Sache beendet hätte. Auf meinen Hinweis, daß er sich doch diese Beendigung gewünscht habe und mir so viele Möglichkeiten zur Beendigung als Wahl gar nicht zur Verfügung standen, wurde er wieder ausfällig gegen österreichische Justiz und österreichische Verhältnisse. […] Das Ganze ging so ungefähr eine Stunde, in der zweiten Hälfte hatte ich nichts mehr geredet, immer mit mir kämpfend, ob ich gehen sollte und das ihm mitgebrachte Honorargeld wieder mit nach Frankfurt nehmen sollte. Er hatte wohl das Gefühl, weit oder zu weit gegangen zu sein, und machte dann raffinierterweise sofort einen Witz, ich würde mir, wenn ich dauernd woanders hinschaute, den Hals verrenken. Im übrigen, er würde so lange gar nicht mehr leben, obschon es ihm zur Zeit eigentlich ganz gut ginge und Frau Zeeh überhaupt eine wunderbare Frau sei. Die Titel seiner nächsten Arbeiten, der Roman ›Neufundland‹. Wir könnten diesen im Februar haben. Der Titel des darauffolgenden Prosabuches sei ›Blinder Haß‹, und das Peymann versprochene Stück trüge den Titel ›Ehre, wem Ehre gebührt‹. Nun ja.«
1986
[486; auf Papier des Hotels Madeira PalÄcio, Funchal, Madeira]
[Funchal]
19. Jänner 1986
Lieber Doktor Unseld,
vor meiner Abreise aus Österreich habe ich noch einen Blick auf Ihre verlegerische Katastrophe geworfen; was Sie da auf über 3000 Seiten drucken und erscheinen haben lassen, ist die grösste verlegerische Peinlichkeit, die mir bis jetzt bekannt ist. 1 Über 3000 Seiten proletarischen stumpfsinnigen Müll mit dem Bombasmus eines Jahrhundertereignisses zu drucken und zu binden, gehört tatsächlich in
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