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Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld

Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld

Titel: Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimund Fellinger
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das Buch der Rekorde: als Stupiditätsrekord.
    Es geht hier nicht um die Erzeugerin dieses über 3000 Seiten langen Unsinns, sondern um die Tatsache, dass der Verleger sich mit der Herausgabe dieser blödsinnigen Gemeinheit tatsächlich selbst entmündigt hat. Der Herausgeber des Ganzen ist ja ein kleinbürgerlicher schweizerischer Dummkopf und der Lektor, der das Ganze »betreut« hat, sozusagen ein lieber Idiot. Wie kommen Sie jetzt, der Sie so fest, ja, wie mir scheint, unwiderruflich darauf picken, von dem Leim weg, auf den Sie gegangen sind? Das ist nicht die einzige Frage. Die wichtigste ist jetzt die, wie es überhaupt möglich sein wird, diesem Verleger, der doch bis dahin ein grosser zu sein schien, in Zukunft ein Manuskript in die Hand zu geben? Wäre der Vorfall, der tatsächlich einmalig ist in der Literaturgeschichte, nicht so peinlich, wäre es damit getan, die Wiener Müllfrau zum Teufel und Ihr Lektorat ganz einfach gleich in die Hölle zu schicken. Aber der Humor hat Grenzen, wenn es um den elementaren Ernst geht. In Fragen der sogenannten hohen Kunst ist mit mir nicht zu scherzen.
    Die Ohrfeige, die Sie mir mit der Herausgabe dieser in Frage stehenden 3000 Seiten gegeben haben, hat eine tiefe Wirkung.
    Hätten Sie doch anstatt den Unsinn von Frau Fritz, nur eine dreitausend Blätter lange Klopapierrolle gedruckt und unter dem Suhrkampsignet herausgegeben, Sie wären auch damit ins Buch der Rekorde gekommen.
    Ihr
    Thomas Bernhard
    1   Der Roman von Marianne Fritz, Dessen Sprache du nicht verstehst , erscheint am 11. November 1985 in drei Bänden mit einem Umfang von 3389 Seiten. Zugleich legt der Verlag den Band Marianne Fritz, »Was soll man da machen.« Eine Einführung zu dem Roman » Dessen Sprache du nicht verstehst « vor. Er enthält eine Einführung von Heinz F. Schafroth und Briefe der Autorin an den Lektor Otto F. Böhmer.

[487; Anschrift: Ohlsdorf; |nach Madeira geschickt|]
     
    Frankfurt am Main
    3. Februar 1986
    Lieber Thomas Bernhard,
    seit 1963 habe ich die Arbeiten eines gewissen Thomas Bernhard bei seinen Schriftstellerkollegen verteidigt. Dies ist jetzt nicht mehr nötig, nichts schafft unter Kollegen so Achtung wie Erfolg. Ich höre auf Schriftsteller und richte mich in vielem nach deren Erfahrungen; aber wenn sie über Kollegen sprechen, dann höre ich hin und denke mir mein Teil, oder ich rufe Erinnerungen aus der Geschichte herauf. Als der »Ulysses« erschienen war, besuchte T. S. Eliot im Hogarth House Virginia Woolf zum Tee. Virginia Woolf gefiel das Buch überhaupt nicht, es sei »unfein«, »das Buch eines bildungsbeflissenen Arbeiters«, eines »ekelhaften Studenten, der seine Pickel kratzt«. Eliot verteidigte das Buch zunächst noch, räumte aber im Gespräch ein, es gebe »keine Einsicht in die menschliche Natur … Bloom sagt uns gar nichts, wirklich, diese neue Methode beweist mir, daß sie nichts taugt«. Später bezeichnete T. S. Eliot den »Ulysses« als das große Meisterwerk der europäischen Literatur.
    Schöne Grüße
    Ihr
    Siegfried Unseld

[488; auf Papier des Hotels Madeira PalÄcio, Funchal, Madeira]
     
    [Funchal]
    9. Feber 1986
    Lieber Doktor Unseld,
    auf meinen letzten Brief aus Funchal erwarte ich keine Antwort. Da ich aber weiterarbeite und auch in Zukunft meine Arbeiten herauszugeben gedenke und ich mit größtem Bedauern auf Ihren persönlichen Charme, wie auf Ihre, wie Sie selbst wissen, unübertrefflichen Qualitäten im Umgang mit mir, sowie auf Ihren sicher auf der ganzen Welt einmaligen Einsatz als Verleger, nicht verzichten will und kann, bitte ich Sie, mir mitzuteilen, wie wir weitermachen sollen. Vor acht, neun Jahren deutete ich ja schon an, dass ich unter dem Titel »Erinnern« sieben Bücher schreiben und veröffentlichen will. Buch eins soll in diesem Herbst gedruckt sein. Nach einer jahrzehntelangen Zeit des Erfindens, bin ich jetzt schon länger in einer Periode des Erinnerns.
    Wie auch immer, wäre die gegenseitige Hassliebe, mit der ich, wie mit allem andern auch, mit Ihnen zu leben wünsche, zu erneuern.
    Wahrscheinlich ist ein Zusammentreffen zu diesem Zweck unumgänglich.
    Wie ich höre, sind Sie krank und haben sich diese Krankheit aus Wien geholt. 1 Recht geschieht Ihnen! Aber Krankheiten, sind sie überstandene, machen noch stärker, auch und gerade Sie!
    Aus klimatischen Gründen sollte ich mein zukünftiges Leben ja hier verbringen, aber die Schönheit des Südens und die Welt als Park sind nichts für einen von Arbeit

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