Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld
für welche.
Ich danke für das Zugeschickte, und bin herzlich
Ihr
Thomas B.
P. S. 1: ist es möglich, mir nach Abzügemachen das Original dieser Gerichtspapiere zurückzuschicken? 3
P. S. 2: Stumpfsinn ist in jedem Falle immer als das Gegenteil von Scharfsinn zu verstehen, als sonst nichts.
1 In dem jährlich erscheinenden Sonderheft der Zeitschrift Theater heute schreibt Th. B. in der Sondernummer für das Jahr 1969 unter der Überschrift In Österreich hat sich nichts geändert (S. 144): »Vor zwanzig Jahren, ich bin nichts als achtzehn gewesen, ist mir vom damaligen Direktor des Salzburger Theaters vor einem Salzburger Gericht der Prozeß gemacht worden, weil ich als guthonorierter Theaterkritiker in der damals besten österreichischen kulturpolitischen Wochenschrift ›Die Furche‹, die heute allerdings nurmehr noch als eine Quadratur des perversen katholisch-nazistischen Stumpfsinns herauskommt, meine Eindrücke über das Salzburger Theater beschrieben habe. [. . .] bin ich vor zwanzig Jahren von einem österreichischen Richter [. . .] zu viertausend Schilling Strafe verurteilt worden. Viertausend Schilling waren damals, und für mich besonders, ungeheuer viel Geld. [. . .] heute, zwanzig Jahre später, muß ich sagen, daß sich das Theater in Österreich überhaupt nicht geändert hat, ja, ich muß sagen, es ist heute noch viel deprimierender als damals. Da ich aber nicht wieder zu einer hohen Geldstrafe (oder Gefängnis) verurteilt werden will, weil es unsinnig ist, dem nutzlosen Staat Geld in den Rachen zu schieben oder im Gefängnis zu sitzen, werde ich meine Eindrücke über unser Theater nicht schildern.«
Th. B. bezieht sich auf seinen Artikel aus dem Jahr 1955 in der Wochenzeitung Die Furche mit der Überschrift Salzburg wartet auf ein Theaterstück (Nr. 49, 4. Dezember, S. 9): »Wir warten noch immer darauf, daß das Salzburger Landestheater endlich einmal ein Theaterstück herausbringt, das in den Kulturspalten diskutabel ist. [. . .] Aber, so fragt man sich deutlich, kann es sich eine Stadt wie Salzburg, die jeden Sommer zu einem europäischen Musik- und Theaterzentrum ersten Ranges wird, leisten, ein landessubventioniertes Haus zu besitzen, das die restlichen zehn Monate auf das Niveau einer Bauernbühne herabsinkt? [. . .] Es ist, als fehlte – von oben herunter – jede Art von ›Bewußtsein‹, ganz zu schweigen von der Begeisterung.« Der im Artikel nicht namentlich genannte Intendant des Salzburger Landestheaters, Peter Stanchina, reicht am 12. Januar 1956 beim Strafbezirksgericht Wien eine »Privatanklage wegen Presseinhaltsdeliktes« ein. Ein erstes Urteil spricht Th. B., der bei der Verhandlung nicht anwesend ist, am 28. März 1956 vom Vorwurf der Ehrenbeleidigung frei. Nachdem Stanchina Einspruch erhebt, wird Th. B. am 11. März 1957 zu einer Geldstrafe von 300 Schilling verurteilt, legt jedoch Berufung ein. Am 8. Juli 1959 zieht Stanchina die Klage zurück.
2 Bei der Reinschrift des Romans tippt Th. B. neunmal das Wort »Ehrenbeleidigung« bzw. dessen Komposita in seine Schreibmaschine, einsetzend am Romananfang: Auf S. 8 ( Werke 3 ) ist die Rede davon, der Kalkwerkbesitzer Konrad habe 15 Vorstrafen, »größtenteils wegen sogenannter Ehrenbeleidigung und wegen sogenannter leichter und schwerer Körperverletzung«. Auf den S. 105, 106 (»Eine Welt hat er gesagt, in welcher man wegen sogenannter Ehrenbeleidigung vor Gericht kommen könne und die behaupte, sie habe Ehre, und in welcher behauptet werde, in ihr gebe es Ehre, wo es doch ganz offensichtlich keine Ehre mehr gebe, besser, niemals auch nur so etwas Ähnliches wie Ehre gegeben habe, sei nicht nur eine fürchterliche, furchterregende, sondern auch eine lächerliche [. . .]«) sowie S. 108 kulminiert die Auseinandersetzung mit der Klage.
3 Bei den »Gerichtspapieren« handelt es sich um einen Beschluß des Bezirksgerichts im oberösterreichischen Wels vom 22. Januar 1970. Der Beschluß hat den Wortlaut:
»Das Bezirksgericht Wels hat in der Strafsache gegen Thomas Bernhard, Journalist und Theaterkritiker, 4694 Ohlsdorf, wegen Presseehrenbeleidigung über Antrag der Privatankläger 1) Herold Druck- und Verlagsgesellschaft m. b. H., 2) Verein Herold und 3) Dr. Willy Lorenz, Chefredakteur, alle in 1081 Wien 8, Strozzigasse 8, sämtlich vertreten durch Dr. Max Vladimir Allmayer-Beck, Dr. Max Josef Allmayer-Beck, Rechtsanwälte in Wien 1, Parkring 2,
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