Der Briefwechsel
ich eine gewisse Erfahrung und Vorstellungskraft hätte. Darüber soll also dann beschlossen werden, wenn ich das Manuskript gelesen habe. Er wird sich so einrichten, daß wir das Manuskript bis spätestens 3. Mai erhalten. Ich werde nach meiner Rückkehr dieses als erstes lesen und dann am Donnerstag, dem 8. Mai, nach Salzburg fliegen. Wir können das Buch nicht in der Vorschau ankündigen, obschon er diesmal auch einverstanden wäre, daß ein Klappentext gebracht wird. Wenn wir es jetzt ankündigen wollen, schlägt er vor, wir sollten die Kafka-Rede ›Statt einer Ankündigung‹ drucken Er spürte mein Zögern bei diesem Vorschlag. Es war gegen 20.30 h, als wir zum Essen gehen wollten, seine Frau hatte so lange
400 gewartet, aber ihm war offenbar auch ein Essen außerhalb des Hauses lieber. Die Restaurants, die wir anriefen, waren wegen des Karsamstages ausgebucht, im ›Österreichischen Hof‹ war noch ein Tisch frei, freilich nur mit Festtagsmenü, Handke mußte sich umziehen, Schlips umbinden, dann stapften wir den doch ziemlich langen Weg vom Mönchsberg herunter, es schneite und schneite, rutschig, und es war gefährlicher als beim Skifahren eine Woche zuvor. Wir saßen in den riesigen Speiseräumen des ›Österreichischen Hofs‹, die leer waren, wir waren die einzigen, die da kamen, denn das erwartete Publikum war noch im Konzert bei Mozarts ›Requiem‹. Die Kellner huschten in Smoking und Frack vorbei, vor den Fenstern eine dichte Schneewand, es war wie in einem Theaterstück. Wir tranken zögernd unseren Wein, allmählich wurden wir beide freier, er erkundigte sich nach Frau und Sohn, aber ich merkte, wie dann zum zweiten Mal eine Stauwand in ihm brach. Und dann kam es auch heraus: Er ›haßte‹ unsere, und er meinte damit meine, ›verbrüdernde, zersetzende, krebserregende‹ Umarmung mit den Medienpäpsten. Es war ja klar, wer gemeint war, obschon er den Namen nicht aussprechen kann. Er hasse das und suche einen Verlag, bei dem das nicht so sei. Auch zum Residenz Verlag käme er nicht, denn auch Schaffler würde diese Umarmung machen. Vielleicht müßten wir sie machen, aber er wolle das nicht, und deswegen meinte er, ein Selbstverlag sei für ihn doch das beste. Und als Höhepunkt seiner Anklagen kam der Vorwurf, daß ich mich an der besagten Festschrift beteiligt hätte. Ich verneinte dies, aber er glaubte es nicht. Er wisse ganz genau, daß ich beteiligt sei. Ich sagte ihm, das Buch käme ja im nächsten Monat heraus und er würde sehen: kein Beitrag von mir. [ Literatur und Kritik. Aus Anlaß des 60. Geburtstages von Marcel Reich-Ranicki , herausgegeben von Walter Jens, erschien 1980 in der Deutschen Verlags-Anstalt, Stuttgart, ohne einen Beitrag von S. U.] Er glaubte es nicht. Es dauerte wieder eine gute halbe Stunde, bis er sich ausgeredet hatte, ich konnte ihn gewiß mit meinen Einreden nicht überzeugen, aber vielleicht hatte er etwas mehr Verständnis für meine Haltung. Dann wurde das Gespräch ruhig, sachlich, freundlich. Er hörte das DM 25.000. – Angebot für die Übersetzung Percy an, er verzichtete auf die 15 %, die er in seinem Briefe als ›sein‹ Honorar gefordert hatte, überhaupt sei dieser Brief aus einer Wut über Frau Dessauer geschrieben worden, er bedauere, daß er das so ge
401 schrieben habe, er freue sich doch, daß der Verlag die Kontinuität seines Werkes bewahre und daß immerhin die Dinge ja ganz gut stünden. […] Und dann sprach er noch einmal [über] ›Die Lehre der Sainte-Victoire‹, ja, er wolle meinen Rat anhören, ob man das selbständig veröffentlichen sollte oder nicht, freilich, in der ›Bibliothek Suhrkamp‹ möchte er nicht erscheinen, das Buch müsse als eine Fortsetzung herauskommen. Im übrigen kämen in der Erzählung Christian Wagner und Ludwig Hohl vor und auch Kafka, und insofern gehöre der Text zu diesen Essays. [Zu Christian Wagner siehe Die Lehre der Sainte-Victoire , S. 25 und 36; zu Ludwig Hohl ebenda S. 36 und 64] Alles gehört zusammen, es sei ein Prozeß, eines ergänze das andere, und irgendwie habe er ›intuitiv‹ das Gefühl, man solle die Kombination machen. Aber er wolle meinen Rat gerne hören. Dann kamen die festlich gekleideten Damen und Herren und füllten die Speiseräume. Sprachengewirr, französisch, englisch, noble Gesellschaft, österreichischer Adel. Peter Handke legte seine Brille ab, um das nicht sehen zu müssen. So mache er das immer. Wir saßen noch an der Bar und tranken eine Flasche Rotwein.
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