Der Briefwechsel
Sammelwerk des übelsten Monstrums, das die deutsche Literaturbetriebsgeschichte je durchkrochen hat, die Widmung an Dich, meinen Verleger, gelesen habe (als Vorsatzblatt zu den nackt mordlustigen Artikeln über »Wunschloses Unglück« und »Die linkshändige Frau«) 2 : »In alter Verbundenheit«, da hätte ich die Pflicht vor mir und dem, was mir noch vorschwebt, gehabt, für immer meine Arbeiten aus Deiner sogenannten Obhut zu nehmen. Danach kam noch die verantwortungslose Hetzerei bezüglich der sogenannten »Leseexemplare« von »Langsamer Heimkehr«, wo ich am Zwang des Termins – den ich dann einhielt – fast – ja – krepiert wäre. (Und dann hatten »die Mitarbeiter« beschlossen, es sollte doch keine geben – immer wieder »die Mitarbeiter«, die Du vorschiebst – wie auch dann, als ich keine Presseexemplare für die »Lehre der Sainte-Victoire« wollte: »meine Mitarbeiter meinen …«) 3
Jetzt der Skandal mit meinem Stück, das Du unfertig, gegen meinen Willen, in fremde Hände gegeben hast. Und wie elendig durchschaubar wieder einmal sind die Motive des Verlegers. Vielleicht ist ein Schriftsteller in vielem weltfremd – aber die menschliche Seele, für die ist seine manchmal kindliche Empfindlichkeit das große Auge: nachdem ich den Verlag der Autoren aus guten Gründen (es ist eine Bande) verlassen habe, wolltest Du meine Arbeit zu Deiner persönlichen Rache für die damals, bei Gründung des Verlags der Autoren, erlittene, von Dir jedenfalls so empfundene und nie verwundene Niederlage ausnutzen – Hand
432 lung jetzt und Motiv sind derart, dass es dafür nicht einmal mehr ein Beiwort gibt. 4
Ich muss – das ist meine Pflicht vor meiner Freude, das dauernde Schöne zu schaffen, und gegen das säuische, verkrebste Zeitalter, in dem ich das vorhabe – endlich auftreten, als der, der ich bin, als der Schriftsteller in jedem Sinn, auch was die Fürsorge für das schon Geschriebene, das Weitergeben, das Verbreiten betrifft. Unsere Wege trennen sich hiermit, unwiderruflich. Es schmerzt mich nur um die doch zum Teil glorreiche und, wie ich weiss, beständige Arbeit von fast zwanzig Jahren, die nun nicht mehr dem Arbeiter gehören darf, wiewohl auch rechtlich Dein Vorgehen ein eklatanter Fall von Sorgfaltsverletzung ist.
Das Stück »Über die Dörfer« wird nicht mehr im Suhrkamp Verlag erscheinen, weder als Theatertext noch als Buch (auf das ich mich vor allem andern gefreut hatte). Auch meine künftigen Arbeiten, sofern es solche noch geben wird, werden nicht mehr im Suhrkamp Verlag erscheinen. Von ehemaligen Autoren, die den Verlag verlassen haben, weiss ich wohl, daß Du ihre Bücher daraufhin fallen ließest und auch sonst alles tatest, um diesen Autoren Leben und Arbeit sauer zu machen. Das magst Du auch hier ruhig tun wollen. Trotzdem hoffe ich, dass, im Interesse der Kunst und der Friedensgeschichte, die beide meine Sache sind, mit der Zeit wenigstens eine Sachlichkeit zwischen uns möglich werden wird. Aber jetzt ist der Tag, da ich endlich eingreifen muss und mich als der Herr meiner Schufterei, meiner Kunst, vielleicht auch meiner Stümperei zeigen muß.
Die begonnene Übersetzung des Stücks »La Mounine« von Francis Ponge, von der (Du am Telefon) »meine Mitarbeiter« meinten, es sei »zu kurz« (40 Seiten hat es in der Gallimardtaschenbuchausgabe), will ich auf jeden Fall weiterführen; denn ich halte den Text für gewaltig. Willst Du
433 sie noch für den Verlag, so werde ich sie beizeiten schicken.
Peter Handke
1
Der Brief wurde als Einschreiben mit Rückschein (auf dem der Empfänger den Erhalt bestätigt) auf den Postweg gebracht.
2
Marcel Reich-Ranicki, Entgegnung. Zur deutschen Literatur der siebziger Jahre , Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1979, enthält den Wiederabdruck der Rezensionen von Wunschloses Unglück (zuerst in: Die Zeit , 15. September 1972) und Die linkshändige Frau (zuerst in: Frankfurter Allgemeine Zeitung , 9. Okotober 1976).
3
Siehe Brief 286, Anm. 2, sowie Brief 288, Anm. 1.
4
Siehe Brief 109.
[330; Anschrift: Salzburg]
Frankfurt am Main
2. März 1981
Lieber Peter,
Dein Brief mit dem Eingangssatz »Die Zeit der Lügen …« hat mich tief getroffen. Ich kann mir Deine Haltung erklärbar machen, aber verstehe auch die meine, wenn ich das, was Du schreibst, aus meiner Sicht für einen grausamen Irrtum halte.
Aus zwei Gründen möchte ich Dir doch einen Vorschlag unterbreiten. Einmal meine ich, daß man eine
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