Der Briefwechsel
und vervielfältigen. Die Stücke schauen so endgültig aus, erstmals etwas von mir vollständig versammelt – aber das ist vielleicht gut zum neuen Aufbruch.
Rudolf Rach möchte »Die Stunde da wir nichts voneinander wußten« für »L'Arche«, zum Publizieren. Er habe mit Dir geredet, und Du habest auf meinen Willen verwiesen. Also: ich will (oder bin einverstanden). Bitte, leite das weiter, an Frau Ritzerfeld. 2
607 Ich habe vor, in Wien eine Wohnung zu kaufen. Kann sein, daß das bald aktuell wird. Ich würde gern mit Dir im Dezember (oder sogar vorher) drüber reden. Geht das? Ich brauche einen Ort in Österreich, glaube ich.
Gerade sitze ich im Zug von der Gare de l'Est nach Nancy, wo Sophie und die 14-monatalte Léocadie mich mehr oder weniger erwarten. Und eine Nacht im Haus der lothringischen Familie. Betet für mich! Zum Glück ist Neumond. Und morgen geht's zurück zu Haus und Garten, wo die Edelkastanien, mundend!, zuhauf liegen, und die knackigen Haselnüsse. Ich lese Goethes Schriften zur Morphologie seit 3 1 / 2 Monaten, und schaukle damit manchmal auf dem Rücken der Welt – zu selten!
Herzlich,
Dein Peter (umarme linkerhand Ulla)
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Über den 50. Geburtstag von P. H. hielt S. U. fest im Reisebericht Paris, 4.-6. Dezember 1992 : »Er [P. H.] hatte sich ›nach unreiflicher Überlegung‹ gewünscht, daß wir zu viert am Vorabend uns treffen und in seinen Geburtstag hineinfeiern sollten. Doch was er nicht wußte: seine Lebensgefährtin Sophie realisierte einen anderen Plan: sie wollte die ›Freunde‹ nach Chaville in eine Kneipe zum Abendessen bitten. Heikle Situation, Fellinger und ich wußten das, durften es ihm aber nicht sagen. Ich traf Handke am Samstag um 17 Uhr auf seinen Wunsch im ›Ritz‹. Ich übergab ihm die Ausgabe der Faksimiles seiner ›Versuche‹; 20 Minuten, schweigend, blätterte er die Ausgaben Blatt um Blatt um; er war bewegt, verständlicherweise. [ Drei Versuche . Versuch über die Müdigkeit. Versuch über die Jukebox. Versuch über den geglückten Tag . Faksimile der drei Handschriften. Einmalige, numerierte und vom Autor signierte Auflage in 1000 Exemplaren] An was werden ihn seine handschriftlichen Zeilen und die eingetragenen Entstehungsdaten erinnert haben? Mit dem Wort ›gut‹ war dann für ihn alles gesagt und das Schweigen beendet (doch eine Bemerkung: die Radierstellen seien in der Reproduktion gut getroffen). Dann Allgemeines: Joachim [Unseld] habe ihn angerufen, sie hätten sich für eine Stunde getroffen, er hätte nicht erfahren, was Joachim ma
608 che. – Er habe Zeitungsinterviews zum Geburtstag abgelehnt, es solle ja niemand erfahren, daß er 50 würde. – Er machte mich auf das Buch eines blinden Photographen, eines Slowenen, aufmerksam, für dessen deutsche Ausgabe er ein Nachwort schreiben möchte: Eugen Bavčar, ›Le voyeur absolu‹. [Evgen Bavčar, Das absolute Sehen. Aus dem Französischen von Sybille Kerschner. Mit zahlreichen Fotografien, erschien 1994 als Band 1909 der edition suhrkamp .] – Kann der Verlag nicht irgend etwas für die Aufführung seines Filmes [ Die Abwesenheit ] unternehmen? – nach wie vor eine schwärende Wunde in ihm. Dann kam er zum Grund seines Gesprächs: er wollte am Morgen seines 50. Geburtstags mit einer ›größeren‹ Arbeit beginnen, die ihn eineinhalb oder zwei Jahre völlig ausfüllen würde. Und dies könnte er nicht in seinem Haus in Chaville, es sei nicht organisiert, die beiden Kinder [neben Léocadie: der Sohn von Sophie Semin] zu laut etc. Er habe in Wien eine Wohnung im Auge, die ein idealer Arbeitsplatz sei, 200 TDM könne er aufbringen, 300 TDM erbäte er vom Verlag als Vorschuß auf die neue ›größere‹ Arbeit. Ich sagte ihm dies zu unter dem Vorbehalt, die steuerlichen Modi klären zu müssen. Es war dann 19 Uhr, er begeisterte sich, er wollte Sophie, ich sollte Ulla anrufen, er würde für das Abendessen am liebsten im ›Ritz‹ bleiben. Nun mußte ich ihm doch das Geständnis des anderen Planes machen. Er war fassungslos, wollte sofort mit Sophie telefonieren, erreichte sie aber nicht. Jetzt fiel ihm ein, daß Sophie angeregt hatte, wir – Handke meinte wir vier – sollten uns in der Bahnhofskneipe [»Bar des Voyageurs« am Vorplatz des Bahnhofs von Chaville-Vélizy] in Chaville treffen. Noch auf der Taxifahrt meinte er, ich würde ihn auf den Arm nehmen, das könne nicht sein, Sophie kenne ihn, und sie würde so etwas nie hinter seinem Rücken machen. Ich riet ihm
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