Der Briefwechsel
aber nachhaltig. Genauso häufig freilich entstanden solche Einträchtigkeiten aus nichts und wieder nichts, nur (?) aus den Tagen, nicht aus den Werken. Vielleicht glaubt's nicht jeder: doch Du bist und warst wie selten einer zum stillen, wohltätigen Dasein und Mitgehen (und Vorausschwimmen) fähig. Geteilte Einsamkeiten in Kronberg im Taunus, geteilte Blicke über die spanische Meseta, von Toro über Zamora bis Ávila. Und ich weiß, daß viele Autoren solche Gemeinsamkeiten mit Dir, ohne Rollen, ohne Hierarchien, kindliche, uralte, erlebt haben und (hoffentlich) bewahren. Eins der spannendsten Lebensprobleme: wie aktives und anschauendes Leben vereinen?, hast Du speziell fruchtbar und wirksam werden lassen = »Nachfolge Goethes«; hinter
699 dem Du in der Hitparade ziemlich oben stehst. »Sueño y trabajo«, »Traum und Arbeit«, so habe ich als Devise auf einem andalusischen Stadtwappen gelesen – Ideal, dem Du ziemlich nahgekommen bist und wohl noch näher kommen wirst. »Festina lente«, eile langsam, ist ja kein schlechtes Mantra, und für Dich hieße die Variante eben »Traum und Arbeit«, oder »Tue anschauend« (oder so ähnlich). Na, und obwohl ich mir noch tausend Bemerkungen vorgenommen hatte, vor allem ein Hoch für Dein Fest- und Hochhalten der not- und lustgedrungen so eigenartigen deutschsprachigen Literatur (mit deren schöner Umständlichkeit und einmaliger Innigkeit als den Leitschienen), möchte ich jetzt aufhören. Habt alle ein lustiges Fest, und fall diesmal – wenn – die Treppe hinauf 2 !
Dein Peter
1
Siehe Brief 436, Anm. 1.
2
Siehe Brief 476, Anm. 2.
[588; Anschrift: Chaville]
Frankfurt am Main
23. September 1999
Lieber Peter,
ich freute mich über die Besprechung von Emmanuel Boves »Meine Freunde«, dem Du ja das Deutsch gegeben hast. Die Autorin des Artikels, Zoë Jenny, veröffentlichte 1997 ein Buch in Joachims Frankfurter Verlagsanstalt. 1
Herzliche Grüße
[Siegfried Unseld]
1
Zoë Jenny, Das Blütenstaubzimmer ; dies., Ich wünschte, ich hätts geschrieben , in: Frankfurter Rundschau , 25. November 1998.
700 [589; handschriftlich]
[Chaville]
3. November 1999
Lieber Siegfried,
ich hoffe, Du bist guter Novemberdinge. Hier ist heute große Sonne, und ich sitze nach dem Laubrechen, lese den wunderbaren BS -Band »Ein Abend nicht von dieser Welt« von Marina Zwetajewa (auch sehr fein übersetzt v. Ilma Rakusa) und erinnere mich an die Eulenrufe in der Vornacht. 1 Bitte, überführ und bring ins Licht den »Umschuler« von Josef W. Janker, der kleine bittere Roman paßt klassisch in die »Bibliothek Suhrkamp« und würde da auch die Zusatzluft bekommen, die ihm in der enggedruckten entlegenen Ausgabe vom Bodensee so abgeht. Meine Argumente oder eher Begleitzeilen für das Buch findest Du in der beiliegenden » NZZ «; nicht undenkbar, daß mein ganzer Versuch zu Janker das Nachwort in der » BS « bilden könnte. 2
Ein herzlicher Gruß
Deines Peter
(in 2 1 / 2 Wochen möchte ich in España sein –)
1
Marina Zwetajewa, Ein Abend nicht von dieser Welt (Original: 1979). Aus dem Russischen übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Ilma Rakusa, erschien 1999 als Band 1317 der Bibliothek Suhrkamp .
2
P. H., Josef W. Janker oder Die Selbstverschränkung der Autor-Kreatur , in: Neue Zürcher Zeitung , 11. September 1999; wiederabgedruck in: P. H., Mündliches und Schriftliches , S. 139-154.
701 2000
[590; Anschrift: Chaville]
Frankfurt am Main
16. Februar 2000
Lieber Peter,
mit gleicher Post geht Dir die »suhrkamp taschenbuch«- Sonderausgabe »Mein Jahr in der Niemandsbucht« zu, aus der Reihe »Romane des Jahrhunderts«. Ich finde, es ist ein besonders schönes Buch geworden, ein würdiges Gewand für die Erzählung, die Herr Hage mit Recht als Meisterwerk bezeichnet.
Herzliche Grüße
[Siegfried Unseld]
P. S.: Ich hatte in München nicht den Mut, Dich mit der Frage zu bedrängen, 1 ob Du am 1. Juli nach Frankfurt kommen könntest, um den Text eines gestorbenen Suhrkamp-Autors zu lesen. Im Sog des schönen Taschenbuches wage ich die Frage zu stellen. 2
1
P. H. und S. U. trafen sich in München anläßlich der Feier des 60. Geburtstags von Hubert Burda.
2
Am 1. Juli 2000 fand im Schauspielhaus Frankfurt eine Veranstaltung anläßlich des 50jährigen Bestehens des Suhrkamp Verlags statt. Dabei lasen zwölf Autoren des Suhrkamp Verlags von ihnen gewählte Texte ihrer verstorbenen Kollegen.
702 [591; Anschrift: Chaville;
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