Der Briefwechsel
des »und«, »bei« und »mit«. (Rede zur Verleihung des Europäischen Literaturpreises 1997) ; siehe P. H., Mündliches und Schriftliches , S. 101-111.
727 Anhang
729 Ein Nachwort, von drei Verfassern
Am 17. April 1969 teilte Peter Handke von Berlin aus Siegfried Unseld mit, er habe Die Angst des Tormanns beim Elfmeter in einer ersten Niederschrift beendet. Die Erzählung ist seiner Überzeugung nach »sehr klar, einfach und spannend […] und trotzdem, auch für mich, etwas Neues«. Dieser Nachricht schließt sich die private Mitteilung an, er warte auf die Geburt seines Kindes (Amina Handke wird am 20. April geboren). Es folgt ein Bericht über seine im Auftrag Unselds vorgenommene Sondierung für eine neue Zeitschrift im Suhrkamp Verlag. Er leitet über zu einer Wiedergabe der Lese-Eindrücke von Hermann Hesse – Peter Suhrkamp, Briefwechsel 1945-1959. Das Buch, von Siegfried Unseld aus Anlaß des 10. Todestages von Peter Suhrkamp zusammengestellt, hatte der Herausgeber einige Wochen zuvor nach Berlin gesandt, Peter Handke sich dafür im Brief vom 29. März 1969 bedankt mit dem Zusatz: »sogar damals haben sich die Autoren fast nur um Auflagen und Nachdrucke gekümmert, es ist auch das wichtigste«.
Am 17. April 1969 verfügte Handke über vertiefte Einblicke in den Briefwechsel: »Ich lese jetzt jeden Abend in dem Briefband Hermann Hesse – Peter Suhrkamp. Ich bin immer erstaunt über die Genauigkeit der Information, die Suhrkamp Hesse gegenüber bewies. Jede Einzelheit teilte er ihm mit, belegte jede Änderung und Neuausgabe, fragte vor jeder Disposition, ob der Autor einverstanden sei.« Derart formuliertes Lob einer Autor-Verleger-Beziehung konnte nur überleiten zu eigener Beschwerde.
In seinem Antwortbrief vom 30. April 1969 ging Unseld
730 wie üblich auf alle angesprochenen Themen ein; zur Briefwechsel-Anmerkung äußerte er sich knapp: »Ich sehe Dich gern beim Studium des ›Briefwechsels‹ Hesse/Suhrkamp. Auch dazu möchte ich Dir doch einiges mündlich sagen dürfen.« Auf diesen Absatz bezog sich Handke seinerseits im Brief vom 2. Mai 1969: »Was den Hermann Hesse – Peter Suhrkamp ›Briefwechsel‹ betrifft: selbstverständlich lese ich daraus mehr als Verlagsmechanismen, aber was man eben mehr erfährt, über die Personen, die da Briefe schreiben, das ist wohl zu wichtig, als daß man darüber ein paar Briefsätze formulieren kann.«
Der Briefwechsel zwischen Peter Handke und Siegfried Unseld berührt so viele Themen, entwickelt sich in derart viele Hinsichten, daß jedes Nachwort scheitern müßte, das den Versuch zu einer Deutung des Briefgesprächs unternähme. Statt dessen empfiehlt sich eine Skizze des Kontexts, innerhalb dessen sich die Korrespondenten bewegen.
Durch ihn nehmen z. B. die vier zitierten Briefe von Peter Handke eine zusätzliche Bedeutung an: Im Dezember 1968 schienen die knapp drei Monate sich hinziehenden, teilweise hitzigen Auseinandersetzungen zwischen Siegfried Unseld auf der einen, dem Gros der Lektoren auf der anderen Seite um Entscheidungskompetenzen über das Verlagsprogramm zu einem Ende gelangt. Einige Lektoren, etwa Urs Widmer, der für Peter Handke zuständig war, verließen den Verlag, die anderen konnten an allwöchentlichen »Lektoratsversammlungen« teilnehmen, auf denen gemeinsam Entscheidungen getroffen wurden. Im Januar 1969 gerierte sich Siegfried Unseld als Sieger dieser Auseinandersetzung, indem er konstatierte, es habe sich im Verlag nichts geändert. Noch im selben Monat kündigte deshalb der Leiter des Suhrkamp Theaterverlags Karlheinz Braun und initiierte mit Wirkung zum 1. April 1969 den genossenschaftlich organisierten Verlag der Autoren. Zu dessen
731 Gründungsmitgliedern zählte Peter Handke. Der Kompromiß zwischen ihm und Siegfried Unseld lautete: Die Aufführungsrechte besitzt (bis 1975) der Verlag der Autoren, die Veröffentlichungsrechte (auch der Stücke) werden dem Suhrkamp Verlag übertragen.
Die Kontextualisierung erlaubt eine zusätzliche hypothetische Lesart der drei Briefe von Handke. Sie bestätigen: Der Autor wechselt nicht den Verlag; sie geben zu verstehen: Der Autor ist mit der Arbeit des Suhrkamp Verlags nicht zufrieden. Handke bezeichnete im Rückblick (siehe S. 739) folglich die Jahre zwischen 1965 und 1972 als einen Zeitraum, in dem er mit Unseld nicht »warm« wurde.
Die Edition der über 600 Schriftstücke, die Peter Handke und Siegfried Unseld zwischen 1965 und 2002 wechselten, macht den
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