Der Brombeerpirat
Konstantin gestern A bend hinten in den Dünen bei irgendeinem Bunker gewesen war. Wahrscheinlich war er einer von denen, die sich krampfhaft an allem beteiligen mussten.
Er setzte sich schlaff auf den Besucherstuhl und stammelte unverständlich vor sich hin. Angeblich hatte er irgendein Telefongespräch mit angehört. Auch der Name Rika Haberkamp fiel, und Sanders unterbrach den chaotischen Redefluss.
»Die Krankenschwester wird gleich hier sein, wir hatten sie um eine Aussage gebeten.«
Fast im selben Moment öffnete sich wieder die Tür, diesmal war es Wencke Tydmers, nass wie ein Fisch und mit diesem aufgewühlten Blick in den Augen, den Sanders nur allzu gut kannte und einzuschätzen wusste: Sie hatte etwas in petto, sie sprudelte innerlich fast über. Sie war ganz dicht vor dem Ziel, doch sie sagte kein Wort. Dicht hinter ihr stand ein Mann, nicht groß und ziemlich ungepflegt, als hätte er die letzten Nächte auf einer Parkbank genächtigt. Eindeutig ihr Bruder. Dieser Brombeerpirat. Jasper Tydmers.
Auf den ersten Blick, das musste Sanders zugeben, obwohl es eigentlich nicht seine Art war, auf den ersten Blick sah er wirklich aus wie ein Kindesverführer, ein Möchtegernrevoluzzer, ein Rattenfänger von Norderney. Seine Augen waren ein bisschen zu neu gierig für sein Alter, die Haare eindeutig zu lang, ü ber die Bekleidung wollte sich Sanders gar nicht erst auslassen. Hätte er eine Tochter gehabt, er hätte diesen Mann ebenfalls mit Argusaugen beobachtet.
Der Taxifahrer sprang auf. Blicke zielten durch den Raum, die beiden Männer gaben sich nach kurzem Zögern die Hand, dann fielen sie sich freundschaftlich in die Arme.
»Tut mir Leid, Jasper, tut mir unendlich Leid«, wiederholte der Taxifahrer immer und immer wieder.
Sanders hätte nur zu gern gewusst, was ihm so unendlich Leid tat. So langsam bekam er das Gefühl, dass alle hier in diesem Büro wussten, was vor sich ging, nur er und Britzke standen als ermittelnde Polizeibeamte ganz schön weit im Abseits.
»Herr Tydmers, mein Name ist Axel Sanders, ich bin zuständig im Fall Leefke Konstantin. Wir sind froh, Sie endlich persönlich kennen zu lernen, da uns von mehreren Seiten bereits angedeutet wurde, dass Sie in diesem tragischen Fall eine Rolle spielen könnten.«
»Sanders, ich bitte Sie«, fiel ihm Wencke Tydmers ins Wort.
»Ist schon gut«, sagte ihr Bruder und legte beruhigend und freundschaftlich seine Hand auf ihre Schulter. »Wir sind doch schließlich hier, um deinen Kollegen alles zu erzählen, was sie wissen müssen.«
»Soso«, sagte Sanders und wies den beiden einen Platz auf dem Ledersofa zu. Sie blieben stehen.
»Mein Bruder hatte insofern nichts mit dem Tod von Leefke Konstantin zu tun, als er von ihr am betreffenden Abend so gegen halb zehn in einem Kellerraum des Hauses in den Dünen eingeschlossen wurde.«
»Sie haben sich von einem minderjährigen Mädchen einschließen lassen? Aus welchem Grund?«
Wieder antwortete Wencke Tydmers für ihn. »Er hat sie dort getroffen, als er auf dem Weg zur Musikprobe war. Sie hat ihn unter einem Vorwand in das Haus gelockt. Er hatte keine Ahnung, dass sie die Tür verschlossen hatte, und als er es bemerkte, dachte er, sie hätte vielleicht eine Überraschungsparty für ihn geplant.«
Sanders bemühte sich, seine Augenbrauen noch höher zu ziehen, als er es ohnehin bei Skepsis zu tun pflegte. »Aha.«
Wencke Tydmers funkelte ihn wütend an. »Herr Kollege, wir sind eigentlich hier, um Sie um Mithilfe zu bitten. Wir können unser Wissen mit dem Ihren zusammentun, denn ich kann mir gut vorstellen, dass wir so alle ein ganzes Stück weiterkommen. Also lassen Sie bitte dieses … dieses …«
»Ja?«, fragte er scheinheilig nach und hoffte insgeheim, dass sie sich im Ton vergreifen könnte. Sie hatte ihre Emotionen nicht im Griff, er zwar auch nicht, doch das hatte nichts mit dem Fall, sondern eher mit ihren funkelnden Augen zu tun. Kleiner Zweikampf, meine Liebe, mal sehen, wer hier die besseren Nerven hat.
»… diese blöde …«
Gleich hatte er sie so weit. Sie fuhr aus der Haut.
»… diese blöde Zweikampfgeschichte, wer wohl die besseren Nerven von uns beiden hat.«
Er zuckte innerlich zurück wie ein Hund, dem man auf den Schwanz getreten hatte. Sie hatte ihn ertappt, er konnte nur hoffen, dass sie seine Niederlage nicht bemerkte.
»Es geht um einen Mord. Todsicher ein Mord, a ber nicht an Leefke Konstantin, sondern an …«
»… Alide Konstantin im Januar diesen
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