Der Brombeerpirat
ungläubig aus.
»Briefe?«, fragte Wencke. »Bisher weiß ich nur von einem!«
Wilko schob mit seinen klobigen Stiefeln einen am Boden liegenden Ast hin und her. »Der von heute Morgen war der Erste.«
»Um Gottes willen, wann habt ihr Pinki einen zweiten geschickt, und viel wichtiger: Was stand darin?«
»Wir haben Pinki beobachtet, wie sie mit Ihnen auf der Promenade so lange gesprochen hat, und da hatten wir Schiss. Als es dann anfing zu regnen, sind wir abgehauen und haben den Brief bei ihr an die Tür gehängt.«
»Ja, und was stand nun drin?«
Jens konnte nicht verbergen, wie sehr er sich schämte. »So was wie: letzte Warnung …«
Wencke schlug sich die Hände vor das Gesicht. »Ihr müsst nach ihr sehen. Ihr müsst ihr sagen, dass der Brief von euch kommt. Könnt ihr euch nicht vorstellen, welche Angst ihr Pinki damit macht? Sie wird denken, dass der Absender dieselbe Person ist, die auch Leefke und Alide Konstantin auf dem Gewissen hat. Sie wird Todesangst haben, versteht ihr? Todesangst!«
In diesem Moment zuckte ein gleißend helles Licht durch die dichten Blätter, kurz darauf bebte ein mächtiges Donnergrollen. Jetzt ging es los.
Alle sprangen auf. Panik. Jasper wurde davon ergriffen, auch wenn er nicht wirklich wusste, um was es ging.
»Ihr geht jetzt alle, und bitte versteht mich richtig, alle zu Pinki und bittet sie um Entschuldigung. Und dann möchte ich euch auf der Polizeiwache sehen. Ich werde mit Jasper dort sein und warten. Doch die Aussage müsst ihr machen. Jeder von euch. Das ist Zusammenhalt, versteht ihr? Das seid ihr Leefke schuldig. Und jetzt los!«
Nun war kein Zögern mehr auszumachen, kein Wenn und Aber. Philip und Swantje nahmen Jaspers Rad, Wilko und Jens liefen neben ihnen her. Verzweifeltes Fluchen und aggressive Vorwürfe verschwanden mit ihnen. Dann war es still.
Jasper stand neben seiner Schwester. Er hatte Wencke seit Jahren nicht mehr richtig angesehen. Und er hatte noch nie richtig mit ihr gesprochen. Er wusste, sie würden nun reden. Und er wusste auch, dass es nicht schön sein würde, was er nun zu hören bekäme. Er war froh, dass Wencke der Mensch war, der ihm die Unwissenheit nahm.
»Ich hab dir ein Lied geschrieben«, sagte er nur.
»So?« Sie lächelte. Tatsächlich hatte seine kleine Schwester schon ein paar winzige Falten um den Mund herum.
»Jasper, ich muss dir etwas erzählen.«
Er nickte. Sie verließen das schützende Blätterdach und liefen langsam dem Gewitter entgegen.
29.
Gewittersturm
Noch vor zehn Minuten hatten Sanders und Britzke allein in dem Zimmer gesessen, das für die Ermittlungen im Fall Konstantin reserviert worden war. Allein mit ihren Papierbergen und der schlechten Laune, die sich im Laufe des ereignislosen Nachmittags bei ihnen eingeschlichen hatte.
Nun, so ganz ereignislos nicht. Die Kollegen von der Gerichtsmedizin hatten angerufen und ihnen mitgeteilt, dass an der Leiche keine Spuren von Gewaltanwendung gefunden worden waren.
Die entdeckten Patronenhülsen in den Dünen stammten von einem in Deutschland nicht verkäuflichen, nahezu unbekannten Jagdgewehr, an dem allem Anschein nach auch noch manipuliert worden war. Jedenfalls hatten die Geschosse eine eigenartige Form, was auf einen verkürzten Gewehrlauf hindeutete. Doch die Ballistiker hatten ihre Diagnose nur aufgrund eines per E-Mail verschickten Fotos gemacht. Und das reichte im Prinzip für nichts, schon gar nicht für einen Durchsuchungsbefehl im Hause Konstantin, auf den man ohnehin einige Tage warten musste, wenn nicht Gefahr im Verzuge war. Eine zweite Patronenart hatte man bislang noch nicht gefunden. Die sintflutartigen Regenfälle erschwerten die Suche danach. Wenn es sie überhaupt gab.
Und Britzke hatte einen Termin mit dieser Krankenschwester vereinbart. Mit Interesse hatten sie festgestellt, dass sie dieselbe Adresse wie Jasper Tydmers hatte. Ein bisschen zu zufällig, das Ganze, es schien ein viel versprechendes Verhör zu werden. Doch Rika Haberkamp war allem Anschein nach nicht gerade die personifizierte Pünktlichkeit, sie sollte schon vor dreißig Minuten zum Verhör erschienen sein.
Als es an der Tür klopfte, rechnete Sanders fest mit der Frau.
Doch es war nur der Taxifahrer, der heute Morgen mit Wencke im Naturschutzgebiet diesen lebensgefährlichen Spaziergang unternommen hatte. Er war gestern schon einmal hier gewesen und hatte ganz besonders wichtig getan, dabei hatte er der Kollegin Lütten-Rass lediglich erzählt, dass Leefke
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