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Der Brombeerpirat

Der Brombeerpirat

Titel: Der Brombeerpirat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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erkälten!«
    Nein! Pinkis fünfte Zigarette, ihre letzte! In der kleinen Pappschachtel war nur noch ein unbenutztes Streichholz. Fünf abgebrannte gegen ein neues. Die Chancen standen schlecht, dass sie diesen Tag noch überleben sollte.
    Wenn die Glut bis an den Filter vorgedrungen war, dann wollte sie es tun. Niemand würde sie davon abhalten. Niemand außer diesem einen winzigen Streichholz.
    Auch Leefke hatte sich immer daran gehalten. Bis zuletzt. Sie hatten dieses Spiel schon so oft gespielt. Früher waren es abgebissene Lakritzstangen gewesen, die über ihr Schicksal entschieden hatten. Nun waren es Streichhölzer.
    Sie waren echte Freundinnen gewesen.
    Pinki dachte an ihr letztes Treffen. Es war nicht in ihrem Zimmer gewesen. Sie hatten sich noch einmal wiedergesehen. Eigentlich wollte sie diese Geschichte vergessen, die Erinnerung daran ausschalten, ein für alle Mal. Doch nun stand sie hier auf dem regennassen Dach und hatte das Gefühl, dass Leefke wieder lebendig war und nun neben ihr stand, um sie leise flüsternd daran zu erinnern, wie es wirklich gewesen war. Ihr letztes Treffen …
    Sonntagabend. Pinki schaute immer noch Viva, doch der Streit mit Leefke bohrte in ihr, bis sie es in ihrem Zimmer nicht mehr aushielt. Er hatte in ihr das Gefühl hinterlassen, dass sie etwas sehr Wertvolles verloren hatte. Es war anders, als seine Unschuld zu verlieren oder einen Schlüssel, ein Portemonnaie. Sie hatte Leefke verloren. Weil sie Leefke vor die Wahl gestellt hatte: entweder die Wahrheit oder unsere Freundschaft. Und erst eine ganze Weile später, nachdem sie wie taub auf ihre Zimmertür gestarrt hatte, durch die Leefke so endgültig verschwunden war, erst da hatte sie die Kraft gehabt, ihr nachzugehen.
    Vielleicht hatte Leefke Recht und es gab keinen anderen Weg, als Jasper von ihrem Verdacht zu erzählen. Sie war bereit, alles dafür zu riskieren, ganz allein. Pinki schlich sich aus dem Haus, es war bereits nach neun.
    Dunkel war es noch nicht. Warm und sanft wie eine Decke lag der Sommerabend über der kleinen Stadt. Touristen in weißen Hosen und dunkelblauen Sweatshirts schlenderten mit Eis in der Hand durch die Norderneyer Straßen. Die Kinder rannten vor, blieben vor den bunten Schaufenstern stehen und wollten alles haben, was sie sehen konnten, bis sie von ihren Eltern wieder eingeholt und zum Weitergehen ermahnt wurden.
    Pinki sah dies alles nur am Rande, die friedliche Idylle drang nicht bis an ihr Innerstes vor. Alles an ihr schien zu rennen, die Gedanken, die Gefühle und die Beine. Bis sie vor der Maritim-Klinik stand.
    Eine Terrassentür stand offen, sie schlich sich hinein und suchte ein Versteck, von dem aus sie den Eingangsbereich im Auge hatte. Eine enge Abstellkammer direkt bei den gläsernen Schiebetüren stand offen, sie schaute sich um, doch niemand bemerkte sie, als sie sich in den winzigen Raum schob. Es waren ohnehin kaum noch Menschen in der Klinik unterwegs, ein paar Pflegerinnen beendeten ihre Spätschicht, zogen sich leichte Strickjacken über die Schwesternkittel und schlenderten lachend dem Feierabend entgegen. Rika war nicht unter ihnen. Sie hatte Nachtdienst auf der Unfallstation. Leefke hatte es ihr erzählt, weil sie sich darüber gewundert hatte. Schließlich hatte Jasper um Mitternacht Geburtstag.
    Pinki setzte sich auf einen Stapel Toilettenpapier, um sie herum standen unzählige Putz- und Desinfektionsmittel, und es roch auf diesen paar Quadratmetern so intensiv nach Krankenhaus, dass Pinki sich bemühte, durch den Mund zu atmen. Doch das Versteck war gut. Falls eine Schwester hereinkäme, hätte sie sich schnell hinter einem mannshohen Turm aus Papierhandtüchern verbergen können, und durch den schmalen Spalt, den die Tür zum Foyer freigab, hatte sie die Eingangstür direkt im Visier. »Leefke, Leefke, komm endlich. Ich muss mit dir reden. Du bist doch meine Freundin. Mach doch nicht alles zunichte …« , flüsterte sie beinahe unhörbar.
    Und endlich, nach einer halben Ewigkeit, tauchte Leefke auf. Hastig lief sie am Portier vorbei, Pinki konnte ihn rufen hören, doch sie wusste, dass Leefke sich nicht aufhalten ließ. Ihre Freundin verschwand im Treppenhaus, und Pinki kroch aus der Kammer. Der Lift war zum Glück gerade im Erdgeschoss, nur ein paar Schritte von ihr entfernt, sie stellte sich an die verspiegelte Wand und drückte auf drei. Unfallstation, Rikas Station in dieser Nacht, die Türen schlossen sich. »Ich muss vor ihr da sein, ich muss sie abfangen,

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