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Der Bronzehändler

Der Bronzehändler

Titel: Der Bronzehändler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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schaurige, kalte göttliche Einsamkeit des Königs‹ bezeichnet hatte? Er holte tief Luft und legte die Hand auf den Falken, der mit gespreiteten Schwingen inmitten von Karneol-, Gold-, Silber- und Alabasterperlen seine Brust schützte. Die Dienerinnen starrten ihn und die Frauen an; ihre Blicke verrieten Unsicherheit und Furcht.
    »Wir wollen hineingehen«, sagte er leise. »Das Jahr Eins ist erst fünfzig Tage alt: Vieles wird geschehen, bis man das Jahr Fünf schreibt.«

    Chakaura saß hinter den Krügen voller Shafadu-Schreibrollen, dem Weinpokal, einer Lotosblüte in der Alabasterschale und einem Tonbecher mit Binsengriffeln. Der wuchtige Tisch aus Lehmziegeln, mit leuchtenden Kacheln ausgelegt, hatte eine Aussparung für seine Beine; unter weichen Fellen und kühler Leinwand knirschte der Sessel aus Weidenzweigen und Binsengeflecht. Der Tisch war wie der Fürstenwall von Sharhan eine Mauer gegen manche Zumutungen eines langen Tages. Vier Kushiten brachten Pije-Ipi in seiner Sänfte herein. Chakaura hob den Blick und sah die Kreatur an, und sein Speichel schmeckte plötzlich sauer; so wie jedes Mal, wenn er mit dem Narren der Zahlen und Begriffe zu tun hatte.
    Links kauerten sieben Schreiber auf Fellen und Matten. Sie hielten große gekalkte Holzbretter auf den Knien und schrieben mit Holzkohle, jeder fünf oder sechs Wörter abwechselnd, und später übertrugen sie das Geschriebene in einen zusammenhängenden Text auf Binsenmarkrollen für das Palastarchiv. Ikhernofret kam in den Saal der Dokumente, verneigte sich tief vor Chakaura, blickte kurz und angewidert auf Pije-Ipi und setzte sich. Der Oberste Verwalter von Millionen Zahlen und Wörtern stieß ein schrilles Kichern aus und sog zischend und schluckend Schleim in seiner wässernden Nase hoch. Chakaura würgte an seinem Ekel und griff nach dem Weinpokal.
    »Was weißt du, Pije-Ipi, von den Spähern und Lauschern aus Kush?«, sagte er. Der Bucklige beugte sich vor, kicherte und begann ohne Betonung und Pausen einen Redeschwall wie ein endloses knarrendes Tau auszustoßen. Chakaura bedeutete den Schreibern mit erhobener Hand, dass sie nichts notieren sollten. Er schloss die Augen und versuchte in der Kette der Worte Nachrichten und Bedeutungen zu entdecken, die wichtig für Tameri waren.
    Gerüchte, Belanglosigkeiten, einige bedeutungsvolle Nachrichten, unverständliche fremdsprachliche Sätze und wichtige Tatsachen wechselten einander ab, stets in halb lallender, gleichförmiger Sprache vorgetragen. Chakaura zwang sich, ab und zu einen Blick in die roten Augen der gefleckten, rundköpfigen Gestalt zu werfen. Pije-Ipi war vor schätzungsweise fünfunddreißig Jahren als Bastard einer – so erzählte man im Per-Ao – ausnehmend schönen Wawat-Sklavin und des Obersten Schriftlehrers gezeugt worden. Zuerst wollte ihn die Mutter noch im Wochenbett erwürgen, aber dann beschloss jemand – angeblich sein Vater –, die schwarze Missgeburt für spätere Lustbarkeiten aufzuziehen wie einen Zwerg aus Punt. Pije-Ipi war haarlos, seine roten Augen schielten, seine rußschwarze Haut färbte sich jedes Jahr in seltsamer Musterung ein wenig mehr, und nun sah er aus wie eine gefleckte Hyäne. Sein Gesicht zeigte ein ständiges Grinsen, und aus seinem Buckel wucherten kreisrunde rote Haarbüschel. Er konnte schreiben und lesen, merkte sich seit fünfzehn Jahren jedes Wort und jede Zahl und vergaß nichts.
    »Wie viel Waren, und welche, sind seit sechs Monden von Nefer-Herenptah an den Palast geliefert worden?«, sagte Chakaura und deutete auf die nickenden Schreiber.
    Pije-Ipi rasselte und gurgelte ein umfangreiches Warenverzeichnis herunter: Gold, Silber, Leopardenfelle, Straußeneier und -federn, Felle, Kupfer, seltene Steine, weibliche, junge, männliche, alte Sklaven, Arbeiter mit bestimmten Fähigkeiten oder kostbares Holz, Weihrauch, Myrrhe und Aloe.
    »Sag mir die Mengen, die wir vor einem Jahr erhalten haben! Von Nefer-Herenptah.«
    Die Auskünfte überraschten weder Ikhernofret noch Chakaura. Seit den Unruhen in Kush, unter denen die Männer der Besatzungsarmee ebenso zu leiden hatten wie die Karawanen der Händler aus der südlichen Unendlichkeit Wawats, waren Wert und Menge aller Tribute zurückgegangen. Mit Nub, dem Gold Kushs, bezahlten die Rômet die Keftibronze; jetzt waren weder die Macht noch das Heer Chakauras groß genug, die Unruhen zu beenden. Der lange Marsch nach Süden würde in Hunger, Durst und Chaos enden.
    Pije-Ipis Gedächtnis war

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