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Der Bronzehändler

Der Bronzehändler

Titel: Der Bronzehändler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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anscheinend unbegrenzt. Für ihn schienen Worte und Zahlen nur Bestandteile unvergesslicher Bilder zu sein, die er in tausend Fächern seines Gedächtnisses stets bereit hielt und mit untrüglicher Sicherheit fand. Ein Schreiber strich drei Briefrollen des Fürsten Nefer-Herenptah vor Chakaura glatt und beschwerte die Enden mit Würfelchen aus gebranntem Ton. »Wie viel Soldaten hat der Gaufürst des Bogenlandes?«
    Der Gau unterhalb von Suenet und Ta-Seti konnte die Schiffe aufhalten, angreifen oder deren Durchfahrt zu den ersten Hapifällen verhindern. »Um wie viel weniger Abgaben hat er geschickt?«
    »Wann kam die letzte Lieferung?«
    »Hat er sich mit dem Fürsten des Gaues der Horus-Erhebung verbündet? Wie groß sind dessen Truppen?«
    Ob Pije-Ipi klar erkannte, wovon er sprach, wusste niemand. Seinem unbegreiflichen Verstand hatte selbst Ikhernofret die Zusammenschrift der Berichte seiner Späher und Lauscher anvertraut; sein Aussehen erschreckte jeden, der mit ihm zu tun hatte; gleichzeitig galt seine Fähigkeit als göttliches Wunder; abergläubische Scheu, etliche Schritte Abstand und die Erleichterung, wenn er wieder in seinen muffigen Gemächern an der Palastmauer hockte, kennzeichneten das Verhalten aller, die mit ihm zu tun hatten. Die Frauen, die ihn bedienten, wisperten über seine unermüdliche Lust, Gier und Fähigkeit zur Begattung. Er gab in einschläfernder Gleichförmigkeit Antwort: jede Zahl und jeder Satz stimmte.
    Chakaura wandte sich an Ikhernofret, den Herrn der Geheimnisse. Die Kohlestückchen der Schreiber kratzten über die Tafeln.
    »Sind deine Boten schon zurückgekommen? Und wenn – welche Antworten haben die abtrünnigen Gaufürsten geschickt?«
    »Ich erwarte die ersten Boten erst übermorgen. Sokar Nachtmin lässt seine Soldaten üben. Er hat zusätzliche zweihundertfünfzig Mann verpflichten können, Herr. Von Men-nefer, das uneingeschränkt treu zu dir steht«
    Chakaura nickte. »Ich habe nichts anderes erwartet. Sag uns, Pije-Ipi, wie es mit den Herden im fruchtbaren Dreieck steht. Wie viel Rinder, Kühe und Kälber haben die Verwalter gezählt?«
    Die Schreiber notierten kratzend viele Zahlengruppen.
    »Wie groß sind die Vorräte an Goldkörnern, Goldfingern, Barrengold, Kupfer und edlen Steinen in den Lagerhäusern und den königlichen Schatzkammern?«
    Bis auf wenige Deben genau leierte Pije-Ipi die Zahlen herunter, kicherte grundlos, furzte laut und schlief nach dem letzten Wort ein. Chakaura massierte mit zwei Fingern seinen Nasenrücken und befahl leise:
    »Lasst ihn wegtragen. Ich weiß, was ich wissen muss.« Tatji Ikhernofret klatschte in die Hände; die Dunkelhäutigen trugen die Sänfte hinaus. »Wirst du abends mit mir essen und Musik hören, Ikhernofret?«
    Chakaura stand auf und sah zu, wie die Schreiber den Saal verließen. Der Tatji verbeugte sich und sagte: »Meine Neugierde, die auch dir im schwierigen Geschäft des Regierens hilft, ist riesengroß. Es freut mich, Herr, und wenn ich dabei sähe, welche Blüten der Weiblichkeit dein königlicher Rechen im Frauenhaus übriggelassen hat, könnte ich ruhiger schlafen.«
    Chakaura legte ihm die Hand auf die Schulter. »Mein Vater hat mich oft vor deiner Schläue gewarnt. Und vor deinem scharfen Sperberauge.« Er lächelte anerkennend. »Er hatte recht. Bei Sonnenuntergang auf der südlichen Terrasse?«
    »Ich fühle mich geehrt. Ich werde gebührend hungrig und schönheitsbegierig sein. Im Andenken an den zweiten Chakaura: ich weiß, dass seine Warnung eine Auszeichnung ist.«

    Wenn sich lange und oft genug die hellerhäutigen, gedrungenen Rômet mit den schlanken Dunkelhäutigen aus Kush, Wawat und den Nomadinnen von Tjehenu kreuzten, dachte Chakaura schläfrig, entstehen daraus die schönsten Mädchen und Frauen, und, bei Hathor, die leidenschaftlichsten. Er hielt sich nicht für erfahren genug, wirkliche von gespielter Leidenschaft unterscheiden zu können. Wenn er den Grad seiner Befriedigung als Maßstab nahm, hatte sein königlicher, schwitzender Körper gebührend große Leidenschaftlichkeit verströmt. Zum drittenmal an diesem Tag fühlte er, wie sich zwischen ihm und den Palastangehörigen ein breiter Spalt öffnete, selbst zwischen ihm und der Frau, die unter ihm gestöhnt und geschrien hatte. Aus dem Riss schien kalter Wind zu wehen. Er blinzelte im Licht eines Dutzends flackernder Lämpchen, die billiges Öl aus Kefti verbrannten, entsann sich des Jungen im Schilfboot, streckte seinen Arm aus und

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