Der Bronzehändler
Kardone zurückhaltend. »Ich erinnere mich oft daran; es war eine glückliche Zeit, und ich möchte sie nicht missen. Du wahrscheinlich auch nicht, Sohn der Sonne. Obwohl ich dich aus dem Kanalschlamm gezogen hab, denk ich nicht daran, an deiner Seite zu sitzen oder gar an deiner Macht teilhaben zu wollen. Ich bin nicht töricht. Ich weiß seit der Schreibschule, dass du auf der Spitze des Steinzeltes sitzt und alle Menschen Ameisen und Käfer unter deinen Zehen sind.«
»Hör ich Bitterkeit und Enttäuschung?«
»Nein, Chakaura.« Karidon sah, wie sich langsam die Spannung im Gesicht des Neunzehnjährigen löste. Er wählte seine Worte mit viel Bedacht, sprach langsam. »Schon deshalb, weil ich herrscherliche Wutausbrüche erwarten müsste, wenn ich ›Freund Chakaura‹ sagte, weiß ich, wie groß der Abstand zwischen dem Goldhorus mit fünf Herrschernamen und einem Jungen ist, der für den Vater den Weg nach Punt und zurück aufgeschrieben hat. So muss es sein, so war es seit Meni-Narmer, dem Starken Wels. Es mag traurig sein, es wird schmerzen: die Tage im Schilf sind vorbei, endgültig. Hunderttausend Augen sehen jede deiner Bewegungen.«
Chakaura stieß sich von der Brüstung ab und machte zwei Schritte, dann erstarrte er. Karidon lächelte.
»Der Herrscher hat keine Freunde. Denkst du das auch?«, sagte Chakaura heiser.
Karidon schüttelte den Kopf. »Er hat viele Freunde. Hoffentlich Millionen Freunde. Sie denken an ihn, er denkt an sie. Mehr darf nicht sein. Für einfache Menschen ist es ein Zeichen von Größenwahn, mit Göttern verkehren zu wollen wie mit unsereinem. Dich hat man zu den Göttern erhöht: Du bist der Auserwählte eines ausgewählten Volkes. Das Binsenboot, der Bogen aus Gubla – gute Erinnerungen, Chak.« Er spürte, wie seine Augen und die Handflächen feucht wurden. »Selbst wenn du wünschtest, es wäre anders: Es wird nie anders sein, Freund Chakaura.«
Er stand langsam auf. Seltsamer Schmerz wühlte in seiner Brust; es war, als sähe er wieder Nefer-Tefnacht auf den Tempelstufen liegen. Chakaura starrte ihn an, reglos wie eine Basaltstatue. Karidon holte Luft und schluckte. »Ich geh für dich in den Süden. Ich denk an unsere Freundschaft, auch wenn sie nur kurz war, und an den Kanalschlamm. Es zerreißt mir das Herz. Ruf mich, wenn du einen Mann brauchst, der dich nicht betrügt.« Er streckte zögernd die Hände aus. »Auf den du dich verlassen kannst. Auch meinen Freunden kannst du vertrauen.«
Chakaura setzte den Fuß vor, sah nach den Fackeln und hellerleuchteten Teilen des Palastes. Karidon blieb stehen und spürte die Kante des Hockers in den Kniekehlen. Die Basaltaugen Chakauras schimmerten im Licht der Ölflämmchen und schienen größer und schwärzer zu werden. Chakaura breitete die Arme aus und umarmte Karidon, stützte sich schwer auf seine Schultern und flüsterte: »Es ist erst das Jahr Eins, Freund. Vielleicht erlauben die Götter, irgendwann, dass wir uns wie junge Männer treffen können; ohne Späher und Lauscher, irgendwo.«
Karidon spürte, dass Chakaura zitterte wie im Fieber.
»Wenn du jetzt gehst«, murmelte Chakaura, »hab ich einen Freund verloren, den ich nie wirklich besessen habe?«
»Wenn ich gehe, wahrscheinlich zu deiner Schwester«, sagte Karidon und löste sanft die Arme Chakauras von seiner Schulter, »hast du einen Freund behalten. Und viele gute Erinnerungen. Wenn du an die Zukunft denkst, denk ans Binsenboot, Chak. Wir werden uns noch hundertmal treffen.«
Sie hielten sich bei den Händen und sahen einander in die Augen, nur ein paar Handbreit voneinander entfernt. Karidon nickte und versuchte zu lächeln.
»Nicht mehr so wie damals«, murmelte Chakaura, richtete sich zögernd zu herrscherlicher Steifheit auf und ging einen Schritt zurück. »Ich kann nicht anders, Kari.«
Karidon kreuzte die Arme vor der Brust.
»Ich weiß. Ich darf nicht anders. Wo ist deine Schwester?«
Chakauras Blick irrte ab. Er drehte sich zur Treppe; es schien, als lausche er auf Rufe aus weiter Ferne. Dann räusperte er sich und sagte:
»Aus unerfindlichen Gründen will sie deine Männlichkeit erobern. Dort, die kleine Terrasse, beim Teich, wartet sie. Wir gehen zurück zum Fest, und dann« – er lächelte matt – »werden wieder die Götter unsere Schritte bestimmen.«
»Deine ersten Schritte und alle anderen, Chak«, flüsterte Karidon und wartete, bis Chakaura fünf Stufen unter ihm war. »Es sollen gute, entschlossene Schritte sein. Kraft, Würde
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