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Der Bronzehändler

Der Bronzehändler

Titel: Der Bronzehändler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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Dienerin blieb abwartend neben ihr stehen.
    »Bring Wein und Becher, und dann könnt ihr schlafen. Stört mich nicht mehr.«
    Kawit flüsterte etwas und schlüpfte durch den Spalt der Vorhänge. Hathor-Merits Blicke tasteten Karidon ab. Er lächelte, denn sie tat nichts anderes als er. Während des Festes war ihm ihre Schönheit aufgefallen; Hathor-Merits Nähe erregte ihn. Kawit stellte einen Weinkrug, einen zweiten mit Wasser und goldene Schalen auf den niedrigen Tisch, verneigte sich und verschwand lautlos. Hathor-Merit streckte sich auf der Liege aus, wölbte die Hüften und sagte:
    »Du fürchtest dich nicht etwa, näherzukommen? Wir könnten leiser sprechen; alle Mauern sind mit Ohren gespickt.«
    »Ich fürchte nicht Shenet Hathor-Merit.« Er setzte sich zwei Schritt von ihr entfernt neben den Tisch. Er zögerte und sagte heftig: »Sondern den ungewohnten Prunk und die Launen der Göttlichkeit. Vor einer Stunde habe ich nacheinander einen Gottherrscher, einen Jugendfreund, einen ängstlichen jungen Mann mit zu großer Last auf den Schultern und wieder den Goldhorus erlebt. In einer Person. Deinen Shen, Prinzessin.«
    Die silberfarbene Umrandung und die Lidstreifen machten Hathor-Merits Augen ungewöhnlich groß. Das ölig glänzende Haar fiel über eine Seite ihres Gesichts. Als sie auf die Schalen zeigte und mit den Fingern schnippte, blitzten die Steine der Ringe.
    »Gib uns zu trinken, kluger Kapitän. Du sprichst von Chakauras Last: Es ist sein Schicksal, sein Ka, Ba und Ach. Ich, den Göttern minder wichtig, darf in deine grünen Augen blicken und mich fragen, ob ich dich begehre.«
    »Eine Festnacht unglaublicher Worte, Erkenntnisse und Wahrheiten.« Karidon goss Wein in die Schalen und mischte ihn. Jeder Blick zeigte ihm einen anderen Teil ihrer Schönheit.
    »Dass du die Schönste bist, siehst du zweifellos in meinen fremden Augen. Kann ich mich weigern?«
    Er reichte ihr die halbgefüllte Schale. Sie fasste sein linkes Handgelenk und zog ihn an den Rand der Liege. Er setzte sich und ergriff das andere Trinkgefäß.
    »Ich rate dir: weigere dich nicht. Ich bin entschlossen. Dass ich schön bin, weiß ich. Hundert Menschen sagen es tagtäglich. Ich blicke in den Spiegel; ist es so?« Hathor-Merit hob die Schale an ihre Lippen. Karidon starrte sie schweigend an, forschte in ihren Augen, ihrem Gesicht.
    »Wenn du eine Dienerin oder Tänzerin wärst, würde ich nicht zögern.« Sie tranken gleichzeitig; ihre Blicke trafen sich über den Rändern der Schalen.
    »Ich bin ebenso eine Frau. Wo ist der Unterschied, Karidon? Fürchtest du meinen Bruder? Seine Macht, den Abglanz seiner Macht auf mir?«
    Er schüttelte den Kopf und strich das schwere, glatte Haar aus ihrem Gesicht; seine Finger tasteten über ihre Schläfe. Ihm war, als berühre er eine unschätzbare Kostbarkeit. Er zuckte mit den Schultern und murmelte:
    »Der Unterschied, Schönste, ist so groß wie der Abstand zwischen Göttern und Sterblichen. Wie zwischen der Unterseite des Himmels und dem Wüstensand.«
    Tama-Hathor-Merit setzte die Schale ab und sah ihn mit hochgezogenen Brauen an. Ihre Hand glitt seinen Arm hinauf. Sie senkte den Blick und flüsterte:
    »Ikhernofret sprach von dir. Mit meinem Bruder habe ich oft über dich geredet. Sokar-Nachtmin sagt, du bist sein Freund. Unser Vater hat euch nach der Puntfahrt geehrt. Alle sagen: Der Junge aus Kefti verbirgt seine Klugheit hinter der Maske der Bedachtsamkeit. Vergiss sie alle, vergiss deine Furcht. Ich will die Nacht mit dir verbringen, Karidon.«
    Er spürte die Spitzen ihrer Fingernägel an seinem Oberschenkel und betrachtete ihre linke Hand, die seine Wange berührte. Langsam hob er den Kopf, legte die Hände an ihr Gesicht und küsste sie. Während sich ihre Lippen trafen, klirrte die Goldschale zu Boden. Hathor-Merit richtete sich auf, zwang seine Hand, ihre Brust zu berühren, biss in Karidons Lippe und flüsterte:
    »Komm mit mir. Bleib bei mir – vergiss, dass ich die Schwester des Goldhorus bin.«
    »Ich werde es nicht vergessen können«, sagte er leise. »Du und dein Bruder, ihr habt die Macht. Ich bin ein zögerlicher Fremder, der nicht weiß, in welchem Geflecht er sich verstrickt.«
    Sie stand auf, packte seine Hand und zog ihn durch die aufwirbelnden Vorhänge in einen kleinen Raum, dann durch einen Korridor, an Wänden voller Bilderschriften vorbei, zwischen schlanken Säulen hindurch in eine kühle Kammer. Sie lehnte sich an eine Säule und schlang die Arme um ihn,

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