Der Bronzehändler
klickte eine zwergenhafte Eule mit dem Schnabel. Karidon lehnte sich gegen die Wand, die, wie Bänke und Tische, in der Art des Hapilandes aus Lehmziegeln gemauert waren. Seine Finger drehten den halbleeren Becher.
Er sah ins Gesicht des Greises. Das linke, weißschimmernde Auge des Halbblinden zog seinen Blick fast magisch an.
»Nun kennst du meine Geschichte, Vater Kaemheset. In zwei Tagen legen wir wieder ab, nach Gubla und Men-nefer.« Karidon lächelte in sich hinein. »Die Shafadurolle, auf der alles von mir und über mich geschrieben stehen mag, wird ewig zusammengerollt bleiben.«
Der Priester hatte sich in den schweren Wollmantel aus Arni eingehüllt. Nur eine schmale Hand und ein pergamentenes Gesicht sahen daraus hervor. Der Wein hatte das Gesicht gerötet, Worte und Bewegungen waren lebhafter geworden; den Einsiedler schien stille Heiterkeit erfasst zu haben. Die dünnen Finger näherten sich dem Becher; die Stimme klang, ungewöhnlich für den haarlosen Greis, dunkel und voll.
»Du bist jung, Krabbe; es ist verständlich, dass du irrst. Glaub mir. Manchmal wirst du aus dieser Rolle etwas lesen müssen, was dir nicht gefällt. Aus der scheinbar vermauerten Höhle werden Teile deiner Erinnerungen hervorkommen. Wie dünner Rauch. Das sagt dir ein alter Mann, der auf tausend Erfahrungen zurücksieht.« Der Mantel klaffte am Hals auf. Karidon sah, dass die Finger des Priesters mit dem Ankh-Henkelkreuz des Amuletts spielten. »Ich erinnere mich an vieles, Krabbe, besonders aus meiner Jugend. Auch daran, dass du mich ein paarmal besuchen konntest, trotz Zaames und Dagi-Antef. Anubis mag mir bald winken, ich sterbe fern vom Hapi und den Grabmalen der Gottkönige. Die Insel ist ewig: Schächte und Schändungen zwischen Stein, auf der Suche nach Kupfer, sind nur wie Sandkörner am Hang einer Düne.«
»Nicht für mich, mein Vater.« Karidon füllte behutsam die Becher. »Ich hab Zaames und den Rôme im Elend gesehen. Es ist mir gelungen, auf die Rache zu verzichten, und jetzt fühl ich mich wie nach dem Sturm. Als wäre ich neugeboren, wie der Cheperkäfer, nachdem er die Kugel im Hapi versenkt hat.«
Karidons Blick ging über die Landschaft hinaus zum Meer, das im Mondlicht unbewegt schien. Die Spur eines Sternensplitters strahlte und verging. Karidons leises Lachen klang verlegen.
»Weit weg vom Tempel des Ptah, von Men-nefers Weißer Mauer, und aus deiner Erfahrung, Vater, willst du meine Fragen beantworten? Ich würde die Götter befragen, aber sie reden, wenn überhaupt, nur durch den Mund der Priester.«
Kaemheset nahm einen kräftigen Schluck und legte die Unterarme im Schutz des Mantels auf den Tisch. Er zuckte mit den Schultern und lächelte zahnlos.
»Ob ich für die Götter spreche, mag dahingestellt sein, Krabbe. Ich sag dir, was mir in alten Schriften und in zahllosen Nächten am Himmel gezeigt wurde. Sieben Gestirne wandeln zwischen den Sternen, abgesehen vom Gestirn des Ra, der Sonne.« Er hob den Daumen und sagte: »Vor einer Ewigkeit, als sich die Sterne in Nun, dem Urozean, spiegelten, beschlossen die Götter, hohe Stufen der Erkenntnis für uns Menschen zu bauen. Zuerst, am Fuß der Stufen, waren wir nur sprechende Tiere. Wir erkannten das Schwinden und Wachsen des Mondes und griffen nach Werkzeugen unserer Umgebung. Kiesel, abblätternde Steinscheiben, Spitzen aus Horn und Fischgräten. Ich versuche zu erklären, was Priester aus der Geschichte ewiger Götter für uns Sterbliche herausfanden, denn jeder Mensch begreift die Welt, die ihn umgibt, nur in Stufen und Schritten.«
Kaemhesets Finger zeigte auf einen hellen Stern nahe der Mondscheibe.
»Ich spreche von den Stufen mühsamer Erkenntnis. Wir Menschen verstanden später die Welt ein wenig besser, entdeckten Metalle und konnten sie nutzen; zur gleichen Zeit fanden wir einen zweiten, dritten und vierten Wandelstern. So trat das Firmament mit dem Menschen und seinen Werkzeugen, zu denen auch die Schrift zählte, in eine Wechselwirkung, deren Sinn wir nicht verstehen. Also muss sie von den Göttern stammen. Jeder Teil unfassbar ferner Vergangenheit wird von einem anderen Wandelstern beherrscht, der unzählige Jahre braucht, um seinen Weg zu beenden. Die Sumerer nennen den sechsten Wandelstern Enmer-Kar oder Meskiag-Kasher; Sohn des Jägers. Welchen Weg, fragst du? Ich weiß es nicht – der Weg mag so entscheidend sein wie das Ziel, das ich auch nicht kenne. Andere Wandelsterne – der Seemann kennt sie –, halfen uns, bessere
Weitere Kostenlose Bücher