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Der Bronzehändler

Der Bronzehändler

Titel: Der Bronzehändler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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Kinder habt ihr jahrelang gequält. Ich bin davongekommen. Im Gegensatz zu euch, wie mir scheint.« Er lehnte den Griff des Beils an sein Knie und zog den kleinen Dolch. »Dir, Dagi-Antef, werde ich den Schwanz und die Eier abschneiden, und vielleicht die Zunge: erinnere dich, wie viele von uns für einen Schluck Milch und einen Brocken Brot dein verdrecktes Lager teilen mussten.«
    Er riss die Decke von den schmutzigen Beinen des Braunhäutigen. Dagi-Antef schrie auf und kroch, die weit aufgerissenen Augen auf Karidon gerichtet, rückwärts aus den Decken über den sandigen Boden. Die Bronzeschneide näherte sich seinem Bauch. Der Mann stieß ein hohles Wimmern aus. Ein blitzschneller Schnitt trennte das stinkende Schamtuch auseinander. Karidon bückte sich und streckte die Hand aus. Der Rôme keuchte und murmelte Unverständliches. Als sich die Dolchspitze dem Gemächt Dagi-Antefs näherte, verstummte er und hielt den Atem an. Hinter sich hörte Karidon undeutliche Geräusche. Der Eselstreiber glitt in den Raum und sagte leise: »Herr. Vollzieh deine Rache nicht an diesen Krüppeln.«
    Karidon zog die Waffe zurück und wandte sich an Zaames, den er als verfetteten, breitschultrigen Mann kannte, mit hochrotem, verschwitztem Gesicht. Zaames, hager, mit fiebrigen Augen, lehnte an der schrundigen Wand und war starr vor Furcht. Ein Speichelfaden hing aus dem Mundwinkel bis zu seinem Nabel. Karidon sagte klirrend:
    »Zaames, der Freund der kleinen Mädchen. Denk an die guten Tage und Nächte. Daran, was deine Finger und dein Glied mit wehrlosen Körpern getrieben haben. Heut seid ihr wehrlos, es gibt keine Zeugen. Was soll ich dir antun, Zaames, dass jede Frau vor deinem Anblick davonrennt?«
    Ihm war übel. Er schluckte bitteren Speichel; seine Finger zitterten. Beide Männer waren wie gelähmt. Sie schienen ihn oder wenigstens seinen Namen wiedererkannt zu haben. Er blickte, Dolch und Beil in den Händen, Zaames an und dann, schweigend, den anderen. Er hob das Beil.
    »Jetzt weiß ich's.« Er näherte sich Zaames und zielte mit dem fingerlangen Dorn auf dessen Gesicht. »Ich hab Jahre von diesem Tag geträumt. Ich blende dich, und vorher hack ich einen Finger nach dem anderen ab.«
    Die Beilspitze beschrieb einen kleinen Kreis, der Stachel deutete auf das rechte Auge. Zaames begann zu kreischen, seine Hände fuhren hoch und pressten sich auf die Augen. Das gellende Geschrei füllte den Raum und schien den Staub zum Eingang hinauszutreiben. Der Eselstreiber sagte irgendetwas, das im Gekreisch unterging. In Karidons Kehle würgte bittere Galle; er zwang sich zu sagen:
    »Zuerst die Finger. Du sollst sehen, wie sie in den Dreck fallen.«
    Der Schrei riss ab. Zaames zuckte, beugte sich vor, ließ seine Hände vom Gesicht fallen, er schwankte, griff nach dem linken Oberarm und zum Herzen und kippte nach links. Sein Gesicht schrammte an der Mauer entlang und begann zu bluten. Karidon schob langsam den Dolch in die Scheide und drehte sich um: ihm schwindelte. Er tappte auf das Lichtviereck zu, der Dorn des Beils kratzte über Steine. Karidon fing einen undeutbaren Blick Jagros auf, taumelte ins heiße Sonnenlicht hinaus, lehnte sich gegen ein Balkengerüst und übergab sich keuchend. Der Krampf trieb Wasser aus den Augenwinkeln, kalter Schweiß brach aus. Nach einer Weile ging er weiter, setzte sich auf einen roh behauenen Steinblock und atmete tief. Sein Blick klärte sich. Auf einem Dachfirst saß ein schwarzer Vogel und starrte ihn an. Er blickte ins Blau des Himmels, senkte den Kopf; sein Blick ging zwischen den Ruinen, siebenhundert Schritte weit, zu den Säulen und Traversen des Tempelchens. Mit einem Ruck warf er das Beil auf den Rücken und ging zu den Eseln, die Lavendelblätter, Gras und Nesseln fraßen.
    Er wuchtete den Watsack und den eingerollten Mantel über die Schulter und suchte den Weg zum Häuschen des alten Priesters. Mit jedem Schritt fühlte er, wie unsichtbare Gewichte von seinen Schultern glitten. Die Übelkeit verging. Er versuchte sein Gefühl in ein verständliches Bild umzuformen: er hatte den letzten Stein in die Mauer eingefügt, die den schwarzen Schlund einer Höhle verschloss. Dahinter war seine Vergangenheit für alle Zeiten eingemauert.

    Noch waren einige Becher Wein im gluckernden Ziegenschlauch. Zwei Ölflämmchen brannten, über den Dächern und zwischen den Säulen jagten die schwarzzuckenden Blitze der Fledermäuse. In einem der beschnittenen Ölbäume, schwer von prallen Oliven,

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