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Der Bronzehändler

Der Bronzehändler

Titel: Der Bronzehändler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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und Quergängen aufstieg und der jahrelang seine Lungen gefüllt hatte. Jagro ruckte an den Führungsriemen. Die Esel trippelten den feuchten Pfad entlang, wieder ins Sonnenlicht und in ein schüsselförmiges Tal, das an einer schrägen Felswand endete. Karidon setzte die Füße auf den Boden und ging auf die Stelle zu, an der sich der Weg verbreiterte und sich in einem unübersehbar menschenleeren Trichter aus Geröll mit Rußspuren, verfallenen Hütten, halb niedergebrochenen Holzgerüsten und überwucherten Schutthalden auflöste. Eisige Kälte strömte über seinen Rücken, er fühlte, wie sein Gesicht die Farbe verlor.
    »Das horusverdammte Bergwerk, Jagro – es ist niemand da. Leer! Kein Feuer, keine Sklaven, keine Aufseher – hat man etwa die Suche nach Kupfererz aufgegeben?«
    Er blieb neben dem Eselstreiber stehen. Jagro starrte ihn verwundert an. Er zuckte mit den Schultern. »Wenn du mich gefragt hättest, Herr, dann hätt ich's dir sagen können. Sie haben kein Erz mehr gefunden, die Adern haben blind geendet. Vor drei Jahren sind sie alle in den Norden gegangen, in die Richtung der Bucht. Nur drei Männer sind noch hier und der alte Priester.« »Kennst du die Männer?«
    »Der aus Kefti, Plati, der Rôme Dagi-Antef, und der hinkende Einäugige. Zaames.«
    Karidon beugte den Kopf und zog das Doppelbeil von der Schulter. Zaames und der Rômet hatten ihn und die anderen Kindersklaven vier volle Jahre lang geschunden. Er würde sie in fünfzig Jahren unter Tausenden erkennen. Er streckte den Arm; die Spitze zwischen den drittelmondförmigen Schneiden bohrte sich neben seinem Knöchel in den Sand. Ein Bild schob sich über die Ruinenlandschaft. Mehr als zwölf Dutzend Kinder, Männer, ein paar Frauen, Lastesel, Rauch und Dampf, Geschrei, ununterbrochene Hammerschläge, sirrende Steinsplitter, kochende Hitze und Metall, das in der Sonne wie Wasser in die Barrenformen floss. In Karidons Magen bildete sich ein schmerzender Knoten. Er holte Luft und zwinkerte die Erscheinung fort. Seine Stimme ähnelte dem Geräusch aneinanderreihender Steine.
    »Wohnen die Männer noch hier? Find ich sie in den zusammengebrochenen Hütten? Sind keine Sklaven mehr hier?«
    »Nein, Herr Kapitän.« Jagro zeigte auf eine Hütte, deren Dach mehrfach ausgebessert war. Neben der Frontmauer wölkte dünner Rauch in die Höhe. Karidon, der in Gedanken Schritt um Schritt die tief eingetretenen Pfade seiner Jugend wiedererkannte, die Mauern, Säulen und die Gruben der Rennfeuer – überall sprossen Gras, Unkräuter und kleine Bäume –, spürte, wie sein Hass, seine Wut, sein kalter Zorn davonzuströmen begannen wie Wind durch die Maschen eines Netzes. Er näherte sich, das Beil waagrecht in beiden Händen, der ärmlichen Hütte. Eine Gestalt in Lumpen warf Gestein, dessen Bruchstellen schimmerten, nach rechts, und andere, größere Brocken in eines der Schachtlöcher. Karidon ging lautlos näher, berührte den Nacken des Mannes mit der Spitze der Waffe und sagte:
    »Dreh dich um. Sieh mich an und stirb langsam.«
    Der Mann erstarrte; Karidon blickte in ein altes, verwüstetes Gesicht. Um die kleinen Krater der Brandnarben wucherten grauweiße Bartstoppeln. Es war weder Zaames noch der hagere Rôme.
    »Du bist Plati?«
    »Plati, Herr, ja. Ich helf den beiden anderen, Herr. Wir sammeln das letzte Erz, und dann geh'n wir nach Norden, zum anderen Bergwerk. Was willst du hier, Herr?«
    »Ich hab vier Jahre lang in euren Schächten geschuftet, geschwitzt und gehungert.« Karidon starrte das menschliche Wrack an. »Wo sind die anderen Sklavenschinder?«
    »Im Haus, Herr. Sie sind krank. Und wir haben nichts zu essen.« Er ließ die Gesteinsbrocken fallen und lehnte sich gegen die Mauer. Karidons Blicke glitten über die verrottete Umgebung. Jede Einzelheit atmete Armut, Verfall und Ruinenhaftigkeit aus. Sein Fußtritt sprengte die Tür auf. Grelles Sonnenlicht zeigte das Innere des Hauses und zwei verdreckte Gestalten auf speckigen Lagern. In der unbarmherzigen Lichtflut brauchte Karidon nur zwei Blicke, um Zaames und Dagi-Antef wiederzuerkennen, trotz der Lumpen, der wuchernden Bärte und ihrer Hilflosigkeit. Er trat aus dem Türeingang zur Seite und blieb zwischen den morschen Liegen stehen; jedes Staubkörnchen im Raum, der nach kaltem Rauch und verdorbenen Dingen stank, leuchtete im schmerzend hellen Licht, das sich auf den Schneiden der Waffe brach.
    »Ich bin Karidon, die Krabbe«, sagte er leise und scharf. »Mich und vier Dutzend

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