Der Buchdrucker der Medici - Eine Hommage an Michael Wagner
sie, würden sie auf den alteingesessenen Namen verzichten. Josef Rutzinger zeichnet nun für die Zeitung verantwortlich, sein Schwager Engelbert Buchroithner für die Druckerei. Letzterer versteht was vom Fach und ist mit den modernsten Techniken vertraut, vermerkt Wagner. Sofort macht sich Buchroithner an die Erneuerung des Maschinenparks und der Buchbinderei.
150 Mitarbeiter zählt Wagner, mehr noch als vor dem Krieg. Er greift sich ein Exemplar der
Innsbrucker Nachrichten
. „Demokratische Tageszeitung“ nennt sie sich, eine neue Rubrik beinhaltet sie, „Deutsch-Österreich“. Die Herausgeber der Zeitung schwenken ins deutschnationale Lager, machen sich unverholen zu dessen Sprachrohr.
Das Unternehmen verzeichnet einen leichten Aufschwung. Doch bald setzt die Inflation ein, treibt die Bezugspreise der Zeitung in die Höhe. Auch droht Gefahr durch das Erstarken der Sozialdemokratie, die Gewerkschaften fordern Reformen. Ein Arbeitszeitgesetz wird erlassen, es beschränkt die Arbeitszeit auf acht Stunden. Bisher waren elf die Regel gewesen. Ferner dürfen Frauen und Jugendliche nicht mehr zur Nachtarbeit herangezogen werden. Was die Arbeitnehmer aber zusätzlich einklagen, lässt Wagner aufhorchen. Sein ganzes Arbeitsleben lang hat er sich, Sonn- und Feiertage ausgenommen, nicht einen einzigen freien Tag erlaubt. Nun erhalten jene Arbeiter, die ein Beschäftigungsjahr aufweisen können, eine Woche Urlaub. Vierzehntägige Ferien dürfen Angestellte planen, die fünf Beschäftigungsjahre aufweisen können.
Dabei ist Arbeit rar, zeitweilig müssen Zuzugsperren für wandernde Gehilfen verfügt werden. Wagner fühlt sich an seine frühen Innsbrucker Jahre erinnert. Freilich, damals gab es noch einen Kaiser, jetzt –
Die Buchhandlung liegt darnieder. Weiterhin ist sie in Schumachers Besitz. Die 900.000 Kronen sind nach der Inflation nahezu wertlos geworden, nichts als Papier. Wagner ist ebenfalls zum Heulen. Immer weniger Käufer trifft er im Geschäft an, den Menschen ist nicht nach Lektüre. Der Hunger treibt sie auf die Straßen. Einige der Demonstranten vermeint Wagner zu kennen, vor allem Kunden der Leihbibliothek.
Doch die Ernährungsfrage allein ist es nicht. Vor dem Krieg stellt das Besitzbürgertum die größte Käuferschicht. Durch die Kriegsanleihen hat es sich an den Rand des Ruins gebracht. Das Einsetzen der Geldentwertung verschärft die Situation. Zudem entfällt dem bürgerlichen Stand durch die Einführung des Mieterschutzes eine ergiebige Geldquelle. Und nur noch wenige Familien findet Wagner, die es sich leisten können, Hauspersonal zu beschäftigen. Rasch wird ihm klar, dass das einen Wandel der Lebensformen mit sich bringt. Die mußevolle Beschäftigung mit Kunst ist zu einem Relikt der Jahrhundertwende geworden.
Jahrelang wird die Buchhandlung unter den Folgen des Krieges leiden, fürchtet Wagner. Vor allem unter dem Problem des Rohstoffmangels. Papier, ja selbst Einbandmaterialien sind schon während des Krieges kaum oder nur zu horrenden Preisen zu beschaffen gewesen. Die nun produzierten Auflagen sind klein, mit ihnen lässt sich kein Umsatz machen. Gibt es denn keinen Ausweg aus dem Dilemma? Schumacher kämpft ums Überleben. Wagner pflichtet ihm bei, es gibt wenig Möglichkeit, den Buchpreis den stark gestiegenen Kosten anzupassen. Die Einfuhr von Büchern aus Deutschland ist ein nahezu aussichtslosen Unterfangen. Nicht zuletzt weil die deutschen Verleger an einer Bezahlung mit österreichischen Kronen nicht interessiert sind. Schumacher stehen zum Import winzige Mark-Kontingente zur Verfügung. Und über deren Verwendung wacht die Devisenzentrale.
Immerhin, die Republik schafft die Zensur formell ab.
Zögerlich kommt die Wagner’sche Leihbibliothek wieder in Schwung. Erst Mitte der 20er-Jahre schließt sie an die Erfolgszahlen der Vorkriegsjahre an. Höchst an der Zeit, denn mittlerweile hat der große Konkurrent, die Tyrolia, ebenfalls eine Leihbibliothek eingerichtet.
Argwöhnisch verfolgt Wagner das Erstarken des Buchhandlungsrivalen. Schon vor dem Krieg hat man die Vormachtstellung an ihn verloren. Vor dem rasanten Aufstieg der Konkurrenz zieht er den Hut. Respekt hat er, Angst jedoch keine. Wer einen Trattner überlebt hat, braucht keine Tyrolia zu fürchten.
In den Regalen seiner Leihbibliothek findet Wagner antike und deutsche Klassikerausgaben. Ferner die gesammelten Werke von Gellert, Grabbe, Tieck, Immermann, Kleist und Nestroy. Auch die neueste literarische Mode
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