Der Buchdrucker der Medici - Eine Hommage an Michael Wagner
können. Auf die Idee, die Meriten eines Höller oder Paur als die seinen zu verkaufen, wäre er jedoch niemals gekommen.
Immer öfter ist in der Zeitung die Rede vom Zeitalter der Hochdruck-Zivilisation, von Tarifkämpfen, von Streikenden und – Zu lange ist Wagner von seinen Meistern drangsaliert worden, als dass er die Anliegen der Arbeiter nicht verstehen könnte. Doch die Pressen dürfen nicht stillstehen, niemals.
Beim Konkurrenten rumort es, Wagner sieht es aus den Augenwinkeln. Innerhalb des Personals der Tyrolia-Druckerei kommt es zu Zwistigkeiten. Die Arbeiter fordern die Entlassung eines missliebigen Kollegen. Was ist geschehen? Wagner schüttelt verständnislos den Kopf. Die Politik treibt Keile. Ist der unerwünschte Kollege zu wenig katholisch? Die Drucker müssen zusammenhalten, gerade jetzt!
Um sich auf andere Gedanken zu bringen, stürzt sich Wagner wieder aufs Feuilleton. Er liest „Aus Galileis Leben“ und „Bramante“, die einzigen Italiener, die momentan gut wegkommen, wie ihm scheint. Am Montag, den 29. Juni 1914, entfällt das Feuilleton. Schwarze Balken umrahmen das Titelblatt. Wagner gleitet die Zeitung aus der Hand. Er hat Landesfürsten, Könige und Kaiser überlebt und sie, weiß Gott, nicht zu knapp verflucht, aber Mord?
Täglich wird nun von den Geschehnissen in Sarajewo berichtet. Die Artikel nehmen einen Feldzug vorweg, martialisch im Tonfall. Schon zwei Tage bevor die Kriegserklärung an Serbien die Titelseite füllt, hat Schumacher einen Kriegsberichterstatter angestellt.
Wieder ist es soweit: Bevor die Zeitung in Druck geht, muss den Zensurbehörden ein Probedruck vorgelegt werden. Wird ein Artikel als „staatsgefährdend“ eingestuft, hat man ihn umgehend zu entfernen. Gleich mit Kriegsbeginn macht Wagner erste weiße Flecken in der Zeitung aus, obwohl sich das Blatt einem uneingeschränkten Jubelpatriotismus hingibt. Die Innsbrucker Zensurstellen sind päpstlicher als der Papst, das war schon immer so, flucht Wagner. Gegen Mitternacht vom 21. auf den 22. November 1916 haben die Drucker die Zeitung für den nächsten Tag fertiggestellt, als in der Redaktion zwei Stunden später die Nachricht vom Tod des Monarchen per Telegramm eintrifft. Sofort erstellt man eine Extra-Ausgabe und legt sie früh morgens der Staatsanwaltschaft zur Zensur vor. Dort höhnt man, es gebe schon seit Langem keine Extra-Ausgaben mehr. Erst als Schumacher sich an eine höhere Stelle wendet, darf die Ausgabe erscheinen.
Zu den weißen Flecken gesellt sich die rasant abnehmende Qualität. Der stark reduzierte Personalstand in der Redaktion ist dafür verantwortlich. Zahlreiche Drucker erblickt Wagner in Soldatenuniform, am Bahnhof nehmen sie von ihren Liebsten Abschied. In Waggons steigen sie ein, die Angst steht ihnen ins Gesicht geschrieben, zwei Jahre dauert der Krieg schon und sollte doch nur ein Spaziergang sein.
Und Schumacher? Sein Siegerlächeln ist einer Fahrigkeit gewichen. Schien ihm das Zeitungsgewerbe in Friedenszeiten ein nervenaufreibendes Geschäft, so übersteigt es nun das Maß des Erträglichen. Wagner leidet mit, bei jedem Verstoß gegen die Zensur vermeinen die Militärbehörden kurzen Prozess machen zu können. Nachts sieht er Schumacher durch die Wohnung schleichen, als brächte ihn die Angst vor der Liquidation seines Geschäfts um den Schlaf. Oder heckt er etwas anderes aus? Bereits vor dem Krieg war Schumacher kränkelnd, Wagner hat dem wenig Bedeutung zugemessen, sein halbes Leben lang hatte auch er körperliche Schmerzen gelitten. Glaubt Schumacher sich die Belastung nicht länger zumuten zu können? Schumacher bespricht sich mit Josef Rutzinger. Ist der nicht mit einer Tochter der Salzburger Verlegerin Maria Kiesel verheiratet?
Wagner schwant Übles, seine Befürchtung jedoch ist ein winziger Spuk gegen den Ausbund der Wirklichkeit, der jetzt nach ihm greift: Eckart Schumacher von Marienfried verkauft die k.k. Wagner’sche Universitätsbuchdruckerei um 900.000 Kronen an die Salzburger Verlagsgruppe Kiesel. Wagner starrt Schumacher an, ballt in der Rocktasche die Hand zur Faust.
6
Der Krieg ist aus, die Monarchie am Ende.
Wagner ist niedergeschlagen, aber nicht am Boden zerstört. An Casimir Schumacher denkt er und klopft sich bekräftigend auf die Schenkel. Mögen die Besitzer heißen, wie sie wollen, die Offizin bleibt sein Kind. Dass die neuen Eigner an der Bezeichnung Wagner’sche Universitätsbuchdruckerei festhalten, wundert ihn nicht. Schön dumm wären
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