Der Buchdrucker der Medici - Eine Hommage an Michael Wagner
und ein winziges vom Konkurs bedrohtes Buchgeschäft erworben. Der Laden befand sich unweit des Thalia-Theaters in –
Hamburg, murmelt Wagner, dazu fällt ihm eigentlich nur Lambeck ein.
Wagner stürzt aus der Offizin, möchte es mit eigenen Augen sehen, ist es wirklich wahr? Bereits seit Tagen geht in der Stadt das Gerücht, Peter Lambeck sei in Innsbruck eingetroffen. Er komme im Auftrag des Kaisers, um den Wert der Bibliothek in Schloss Ambras zu prüfen. Sie solle aufgelöst und den kaiserlichen Buchbeständen in Wien einverleibt werden.
Mehr als eine Woche verbleibt Lambeck im Oktober 1665 in Ambras. Schon am ersten Tag findet er vierzehn wertvolle Handschriften. Dann stößt er auf eine
Wenzels-Bibel
, ergötzt sich an den mit Gold unterlegten Miniaturen, ein unübertreffliches Zeugnis böhmischer Buchmalerei aus dem 14. Jahrhundert. Schon zieht er die
Goldene Bulle
Karls IV. aus einem der Schubfächer, dann eine Livius-Handschrift, in lateinischer Unziale des 5. Jahrhunderts in Italien geschrieben. Ferner sichtet er eine Alkuin-Handschrift, eine von Plato, der
Timäus
, mit Kommentar –
Lambeck erstellt ein Inventar, mehr als 500 Manuskripte listet er auf, über 4.000 Druckschriften. Die Heimischen machen es ihm nicht leicht, wollen „ihre“ Ambraser nicht ziehen lassen, verstecken einen Teil der Werke vor ihm. Doch Lambeck gibt nicht auf, einen Schatz nach dem anderen hebt er aus. Dabei steht ihm der schwerste Teil der Aufgabe erst bevor: Die Überführung der Codices und Bücher nach Wien. Seine hanseatische Betriebsamkeit strapaziert die Nerven des Tiroler Beamtengleichmuts. Allein wie er spricht, der Hamburger, so spitz und mit dem Spazierstock vor ihren Nasen fuchtelnd. Mit Mühe gelingt es dem kaiserlichen Bibliothekar, Salzfässer für den Transport aufzutreiben. Auch ein Schiff ergattert er endlich, morsch und leck ist der Kahn, aber Lambeck hat nur einen Gedanken: nichts wie weg. Lieber möchte er auf Grund laufen, als den Starrsinn des Bergvolkes und ihre aus dem Kehlkopf brechende Sprache noch einen Tag länger zu ertragen. Was wollen die Hinterwäldler? Er rettet die Bibliothek lediglich vor dem sicheren Verfall.
Die Werke würden in Ambras gemächlich verrotten, da pflichtet Wagner dem Hanseaten bei, wenngleich er sich diebisch mit den Tirolern freut: Es gelingt ihnen tatsächlich, eine von Kaiser Maximilian in Auftrag gegebene Handschrift, das Ambraser Heldenbuch, vor Lambeck zu verbergen.
Nie wird Wagner den Tag des Abtransports der Bücher vergessen. Er eilt eigens nach Hall, um dem Spektakel beizuwohnen. 22 Fässer und sechs Kisten werden verladen, eine Ära geht zu Ende. Das Schiff legt ab, Wagner blickt ihm nach, Hauptsache, die Bücher sind gerettet.
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Vorhang auf und alle Fragen offen. Ein neues Stück wird gegeben auf einer Bühne, die seinen Namen trägt. Blättert Wagner im Buch, das ihm die Erinnerung in die Hand drückt, weiß er manchmal nicht, ob er weinen soll oder lachen. Er sieht sich am Dullbach entlanglaufen und die Augsburger Dulten besuchen, dann die Jahre der Wanderschaft – ein Gräuel. Der Aufbau des Geschäfts, die permanenten Geldsorgen und der Würgegriff der Zensur. Das Glück beim Büchermachen wiegt alles auf.
Angst vor der Zukunft hat er nicht, wer Schönwitz und Konsorten überdauert, dem braucht nicht bang zu sein. Dennoch plagen Wagner Ungewissheiten. Sieht er seine Nachfolger, zweifelt er oft an ihrem Tun. Sie alle sind Nutznießer eines Briefs geworden, den ihm die Landesfürstin 1639 –
Kein Tag, an dem er das Schreiben nicht in Händen hält. Sehen die Erben das? Auf eine Frage freilich kann es nur eine Antwort geben: Er bleibt. Und wer immer die Buchhandlung betritt, wird damit rechnen müssen, ihn anzutreffen, den Buchdrucker der Medici, Michael Wagner.
Freibrief von Claudia de’ Medici für Michael Wagner, 1639.
Titelblatt des ersten bei Wagner gedruckten Buchs, 1639.
Handschrift Michael Wagners in einem Brief an seinen Schwager Michael Barbisch, 1660.
Geburtsbrief für Michael Anton Wagner, 1696.
Ausgabenauflistung für das Klarissinen-Kloster anlässlich von Maria Coletas Eintritt.
Inventar der Druckerei, 1702.
Umschlag des Inventars, 1702.
Dank an alle, die mir bei der Recherche zu diesem Buch geholfen haben. Allen voran an Andreas Winkler, der mit großer Geduld meine Fragen beantwortete und mir mehrmals Einblick ins Familienarchiv Winkler gewährte; an Hellmut Buchroithner und an Angelika Maurer für ihre
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