Der Buchdrucker der Medici - Eine Hommage an Michael Wagner
3 Schilling erwerben. Freilich, was als Buch über den Ladentisch geht –
Wagner rümpft die Nase. Das Papier entsetzlich holzhaltig, Einband und Verarbeitung eine Katastrophe. Etwas besser
Die Märchen aus Tausendundeiner Nacht
, 350 Seiten stark, Halbleinenband. Der Preis allerdings: 24 Schilling. Schwer kann Wagner einen Aufschrei unterdrücken: Der Verleger des Werks Carl Ueberreuter, der Trattner-Nachfolger.
Der Spaziergang durch die Buchhandlung ist ernüchternd. Die Banalität feiert Triumphe. Belanglose, abgeschmackte und in jeder Hinsicht überflüssige Romane findet Wagner. Seichte Belletristik in hunderten Variationen. Was ist in die Verleger gefahren? Sie stecken ihr Geld in die Herstellung tantiemenfreier Werke aus vergangenen Tagen. Das minimiert die Kosten und spart ihnen die Arbeit am Aufstöbern guter Manuskripte. Der gesteigerte Absatz gibt ihnen Recht.
Die Währungsreform setzt dem Aufschwung ein Ende. Für 150 „alte“ Schilling erhält man genau so viele „neue“. Beträge, die darüber hinausgehen, werden um zwei Drittel abgewertet.
Kurt Schönwitz wendet sich aus dem Internierungslager an seine vormaligen Angestellten. Er bittet sie, eine Petition zu verfassen, die seinen unzweifelhaften Leumund bestätigt. Das machen Angelika und einer der einstigen Prokuristen gerne. Über ihren Goldfasan kein böses Wort: Er hat sie stets gut behandelt und vor mancher Schererei bewahrt, ist ein herzenswarmer Mensch –
Mag sein, denkt Wagner, aber: Schönwitz ein Ehrenmann vom Scheitel bis zur Sohle? Machte er sich in seiner Funktion nicht der Kriegshetzerei schuldig?
Der SA-Oberführer wird entlassen. Die Nachkriegsjustiz misst ihn an größeren Kalibern. Wagner jedoch fragt sich, ob es eine Steigerung von Nazi gibt. Bald sieht er Schönwitz’ Kampfgefährten Max Amann durch die Straßen Münchens spazieren. Der gehörte immerhin zu den frühesten Gefolgsleuten Hitlers, war 1923 Häftling in Landsberg. Auch Schönwitz lässt sich in München nieder. Und ein wenig wundert sich Angelika schon, wie es ihrem einstigen Chef so rasch gelingt, wieder Fuß zu fassen. Die großen Nazis halten eben zusammen, mutmaßt sie.
Schönwitz gründet einen Verlag. Schulter an Schulter mit den Kameraden einer neuen Zeit entgegen. Glücklich wähnt er sich nicht, die Berge vermisst er sehr. München ist nicht seine Stadt, er trägt sich mit dem Gedanken zu übersiedeln – in den Chiemgau?
Ruhpolding richtig erlebt!
Sechs Jahre nach Kriegsende erscheint das Buch, Schönwitz fungiert als Autor und Verleger in einem, lebt im Ort, über den er schreibt. Bisweilen besucht er seine Wahlheimat Tirol. Spricht er über die alte Zeit? Hätte es nur mehr solche wie ihn gegeben, denkt Angelika, den Betriebsrat vermisst sie nicht. Wagner sieht sie weiterhin in der Druckerei arbeiten. Sie mag Schönwitz noch immer, und ihr Lächeln ist bezaubernd wie eh und je.
Mitte der 50er-Jahre versetzt ein Name die Leserschaft in Verzückung: Margret Mitchell.
Vom Winde verweht
wird der größte Bestseller der Nachkriegszeit in Österreich. Zahlreiche Übersetzungen aus dem Englischen erobern in der Folge den Markt. In den Auslagen erblickt Wagner dickleibige Romane, schön anzuschauen, bunt ihre Umschläge. Auch findet er in den Regalen alte Bekannte. Bruno Brehm ist einer von ihnen, ein anderer der Nazi-Burgtheaterdirektor Mirko Jelusich. Einen der „Priester des deutschen Herzens“ sichtet er, Max Mell. 1954 wird er mit dem Österreichischen Staatspreis ausgezeichnet. Bossi Fedrigotti lässt den
Vormarschtagen
mehr als zehn weitere Bücher folgen. Als Autor einfühlsamer Tiergeschichten findet Josef Wenter in die Buchhandlung zurück. Unter dem Pseudonym Christian Kreuzhakler tritt Karl Springenschmid zwar nicht mehr auf, gedanklich aber bleibt er führertreu und publiziert unverdrossen. Und Karl Paulin? Der darf sich mittlerweile Ehrenmitglied der Universität Innsbruck nennen und läuft zwei Jahre nach Verkündung des Staatsvertrags mit einem Professortitel durch die Stadt. Sein Sagenbuch ging 1950 in die vierte Auflage und enthielt unkommentiert eine Legende, bei der Wagner sofort die Stimme Guarinonis hört. Als er aber im Nachfolgeblatt der
Innsbrucker Nachrichten
den Namen Ernst Kainrath entdeckt, fürchtet Wagner den Verstand zu verlieren. Sogar im Impressum darf dieser Mann stehen, der dem Führer einst wortreich Kränze geflochten und die heimischen Juden als Parasiten beschimpft hatte.
Die Tyrolia ist wieder da, alte
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