Der Buchdrucker der Medici - Eine Hommage an Michael Wagner
strahlt er über das ganze Gesicht. In der raschen Nachbestückung des Sortiments hat er längst den goldenen Schlüssel ausgemacht, der dem Buchmarkt alle Tore öffnet.
Manchmal späht Wagner von der gegenüberliegenden Straßenseite zum Eingang der Buchhandlung. Nichts entgeht seinem Blick.
Geschäfte voll mit Lebensmitteln fallen ihm auf. Dabei sehen manche Menschen schrecklich mager aus. Er selbst hatte während der Walz wirklich Hunger gelitten. Und wie sauber die Stadt jetzt ist. Er war damals nach einem heftigen Regenguss bis zu den Knöcheln im Morast versunken.
Aber so reinlich ihm die Stadt erscheinen will, ihre Bewohner – Niemals hätte Wagner die Barbischin in aller Öffentlichkeit geküsst. Wie hatte sie sich doch immer zum Kirchgang herausgeputzt. Der Rock bauschte sich um ihre Taille, der gestärkte Spitzenkragen wallte sanft und rund über ihre Schultern. Und trug sie ein ausgeschnittenes Kleid, so bedeckte immer ein zweiter Kragen das tiefe Dekolletee. Wie sich die Menschen aber jetzt kleiden, Beinkleider bis an die Fersen hinab, selbst die – Frauen in schönen Kleidern begegnet Wagner, das schon. Unentschlossen blickt er an sich hinab. Die bis unters Knie reichenden Schlumperhosen waren nie sein Fall. Auch das Lederkoller, das noch während seiner Lehrzeit üblich war, hatte er bald nach seiner Ankunft in Innsbruck abgestreift. Nach dem neuesten Stil gekleidet war er unter die Zeitgenossen getreten. Nun tragen Seinesgleichen feinsten Zwirn, und vielleicht sollte er – warum nicht?
Sein Eindruck täuscht ihn nicht, Wagner spürt, es ist etwas im Gang. Es raubt ihm den Schlaf und verhilft ihm auf die seltsamsten Sprünge. So schleicht er manchmal nachts durch die Buchhandlung und beginnt wie von Sinnen Bücher zu zählen. Ist er bei 100.000 angekommen, atmet er erst einmal tief durch. Dann nimmt er Platz auf einem der Bücherstapel. Etwas mulmig ist ihm so allein im Geschäft, das in der Dunkelheit noch viel größer wirkt. Sein Blick gleitet die Regale entlang, Wagner entziffert Schriftzüge, und plötzlich treten aus ihnen Menschen hervor: Maria Gäch, Maria Barbisch, seine Töchter und Söhne, Enkel und Urenkel, Casimir Schumacher und sein Clan, Besitzerinnen, Besitzer, Geschäftsführerinnen, Angestellte, Faktoren und Druckergesellen, sie alle versammeln sich um ihn. Gemeinsam blicken sie zur Tür, durch die Claudia de Medici eintritt, in ihrem Gefolge Kanzler Biener, Ferdinand Karl und Sigismund Franz, der gleich neben dem Kassapult Platz nimmt. Wagner erzählt ihnen von seinem Leben und von der Buchführerei, sagt ihnen die Sprüchlein des Hans Sachs aus dem Ständebuch auf.
So schnell der Raum sich füllt, leert er sich wieder. Auch Wagner möchte gehen. Da fällt sein Blick auf die Zeitschrift, die ihm eine der Geschäftleiterinnen als Geschenk mitgebracht hat. Gibt die Buchhandlung das Magazin heraus? Tatsächlich. Als wollte das Geschäft zu seinen Ursprüngen zurückkehren. Das will er ein
Wagnis
nennen, der alte Wagner, in Zeiten wie diesen eine Zeitung –
Wagner vertieft sich in dem Magazin. Besonders angetan hat es ihm ein Text, der von einem Schriftsetzer in Venedig handelt, der letzte Vertreter seines Fachs in der Lagunenstadt. Von Setzkästen, Pressen und Tintenwalzen ist die Rede, von Schrifttypen und Papierformaten. Als würden aus den Worten Geruchswölkchen aufsteigen, kann Wagner seine Kindheit förmlich riechen. Gerne möchte er weiterlesen, aber das Heft gleitet ihm wie ohne Zutun aus der Hand.
Es überrascht Wagner nicht, als er hört, die Buchhandlung werde verkauft. Nicht dass er es hätte vorhersagen können. Aber als er die Scheinwerfer im Geschäft erblickte, wusste er: Ihr Licht ist zu stark, als dass man in ihm den Anbruch einer neuen Zeit übersehen könnte.
Sentimentalität ist fehl am Platz, heute wie gestern, als Casimir Schumacher die Offizin an sich gebracht hatte, bis sein Urenkel sie weiterveräußerte. Wagner selbst hat die Tradition immer hochgehalten, das Geschäft ungleich höher. Er hatte die Pauer’sche Druckerei aufgekauft, die seit mehr als hundert Jahren –
Dass auch die neuen Besitzer an seinem Namen festhalten, entlockt Wagner ein Lächeln. Schön dumm wären sie, nicht? Er holt Erkundigungen über die nunmehrigen Eigner ein, eine Buchhandelsgruppe. Sie sei eine der größten im deutschsprachigen Raum. Ein rasanter Aufstieg, erst Anfang der 30er-Jahre habe ein junger Buchhändler namens Könnecke die Gelegenheit beim Schopf gepackt
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