Der Buchdrucker der Medici - Eine Hommage an Michael Wagner
einem Thrucker.“ Oder das Ende der Ausbildung, Cornut war er damals, so nannte man die angehenden Gesellen. Tagelang hatte er kaum ein Auge zugetan aus Angst vor dem bevorstehenden Zeremoniell der Freisprechung. Grobheiten und Demütigungen seitens der älteren Gesellen standen an. Gibt es diesen Unsinn denn noch?
Ein letzter kurzer Aufschwung, noch einmal will man durchstarten, dann –
Würde Wagner es nicht mit eigenen Augen sehen, er wollte es nicht glauben. Die Offizin kommt unter den Hammer. Eine Auktion findet statt. Großes Gelächter im gut gefüllten Saal, soeben wurden die Topfpflanzen versteigert. Jetzt ist eine alte Setzmaschine an der Reihe. Rasch findet sie einen Abnehmer. Genauso wie der Konferenztisch samt Stühlen aus dem Jahr 1937. Nun Objektnummer 303, ein Staubsauger. Noch mit Inhalt, feixt der Leiter der Auktion. Kein Auge bleibt trocken, auch Wagners nicht.
Schon Mitte der 80er-Jahre geht der Universitätsverlag Wagner an einen neuen Besitzer über. Den Namen behält er bei, ebenso die Ausrichtung. Tirolensien, wissenschaftliche Reihen und Didaktisches bestimmen das Programm, ganz nach Tradition. Ein Buch über Hippolytus Guarinoni erscheint, Wagner blättert darin und stößt auf den eigenen Namen. Auch viele andere, die er gekannt hat, tauchen in den Zeilen auf, ihre Gesichter leuchten ihm aus dem Gedächtnis entgegen.
Kurz wird Wagner larmoyant, beneidet die einstigen Weggenossen. Ihren Augen blieb erspart, was weit über die Grenzen der Vorstellung geht. Und doch haben sie es gesehen. Wie er sind sie Kinder des Dreißigjährigen Kriegs, der nichts als Tod und Verderbnis brachte. Die Wahl der Waffen macht die Mörder effizient. Was soll er den Freunden erzählen? Vom Aufstieg der Offizin, der sich der Technisierung verdankt?
Die Hitlerei in der Buchhandlung, der NS-Gauverlag, die Vergangenheit lastet schwer. Weiterhin mit Büchern handeln zu dürfen, Wagner weiß, das ist die Chance, die es zu nützen gilt.
Der Satzspiegel eng, die Schrift klein. Wagner hält ein Taschenbuch in Händen. Gut erinnert er die Zeit, als die ersten Musen-Almanache ins Sortiment gekommen sind. Goethe, Schiller, Wieland, plötzlich gab es eigene Buchreihen, waren „Taschenbücher für Frauenzimmer“ in Mode. Diese frühen Taschenbücher mit den neuen zu vergleichen, fällt Wagner nicht ein. Damals erschienen sie einmal im Jahr, beinhalteten meist einen Kalender und einen Kupferstich. Auch der Einband war ein anderer, nicht so weich und biegsam wie jetzt. Handlich sind diese neuen Bücher allemal, sie passen in jede Rocktasche – und sie sind billig im Preis. Das Erfolgsrezept stammt von den Leipzigern, klar. Erst auf ihre Initiative hin kam das Taschenbuch richtig in Schwung. Die Reclamsche Universal-Bibliothek bot neben deutschen Klassikern antike und philosophische Werke. Buchautomaten wurden aufgestellt, ihr Inhalt in Verlagsprospekten angepriesen. Jedes einzelne Buch war mit einem Streifband umgeben, auf dem in kurzen Sätzen der Inhalt erläutert, die Neugierde durch ein treffendes Urteil erregt oder eine Charakteristik des Autors gegeben wurde. In Krankenhäusern, öffentlichen Gebäuden, auf Schiffen und in Kasernen fand man solche Automaten.
Schon vor dem Krieg hatte Wagner die ersten Taschenbücher in seiner Buchhandlung entdeckt. Da war noch nicht abzusehen, wie sehr sie irgendwann den Umsatz ankurbeln würden. Nun aber sind die Rowohlt Rotations-Romane modern, Hemingway, Tucholsky, Joseph Conrad. Hatte schon das Jahr 1918 gesellschaftliche Veränderungen herbeigeführt, so wandelt sich jetzt die Lebenskultur abermals. Nennt sich nicht eine der Taschenbuchreihen
Neue Welt
? Die Einrichtung einer eigenen Abteilung für Taschenbücher war nur eine Frage der Zeit. Und ihre Beliebtheit scheint ungebrochen zu sein. Dass das Lesen einmal einen derart festen Platz bei den Menschen einnehmen würde, wer hätte das gedacht.
Vor den Unkenrufern, die ein Ende der Lesekultur heraufbeschwören, stellt sich Wagner taub. Ihre Reden, das Buch habe ausgedient, tut er als Humbug ab. Dass Bücher weiterhin ihre Gestalt ändern werden, davon ist er jedoch überzeugt. Alles andere würde ihn nach Jahrhunderten der Entwicklung überraschen und enttäuschen. Er mag die Fortschrittsbremser nicht verstehen, die Traditionalisten. Soll ihretwegen der Buchmarkt anhalten?
Neugierig folgt Wagner den Kunden ins Geschäft, lugt ihnen über die Schulter. Blitzt in ihren Augen die Freude über ein gefundenes Buch auf,
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