Der Buddha aus der Vorstadt
Schlafzimmertür stand. Er griff nach dem Hörer. Ich konnte es nicht fassen: Er wollte tatsächlich in seinem Haus den Mund aufmachen.
»Hallo«, krächzte er, als wäre seine Stimme aus der Übung gekommen. »Eva, schön, daß du anrufst, mein Liebling. Ich bin leider heiser, geschwollene Mandeln wahrscheinlich. Kann ich dich vom Büro aus zurückrufen?«
Ich ging auf mein Zimmer, stellte das große, braune Radio an, wartete, bis es warm wurde und dachte nach.
In dieser Nacht zeichnete Mum wieder.
Es geschah noch etwas, das mich begreifen ließ, daß Gott, wie ich meinen Dad jetzt nannte, ernstzunehmende Pläne hegte: Als ich zu Bett ging, hörte ich seltsame Laute aus seinem Zimmer. Ich preßte mein Ohr auf die weiße Lackfarbe der Tür. Ja, Gott führte Selbstgespräche, wenn auch nicht gerade Gespräche privater Natur. Er sprach langsam, mit einer tieferen Stimme als sonst, fast als stehe er vor einer Menschenmenge. Er zischte die S-Laute und übertrieb seinen indischen Akzent. Jahrelang hatte er versucht, sich den Engländern anzupassen, um nicht aufzufallen oder sich lächerlich zu machen, und jetzt wollte er mit aller Macht das Gegenteil. Warum?
Einige Wochen später, an einem Samstagmorgen, rief er mich in sein Zimmer und sagte geheimnisvoll: »Bist du heute nacht dabei?«
»Was ist heute nacht, Gott?«
»Ich habe meinen Auftritt«, sagte er mit unverhohlenem Stolz in der Stimme.
»Wirklich? Noch einmal?«
»Ja, sie haben mich darum gebeten. Die Nachfrage ist so groß.«
»Großartig! Wo denn?«
»Wird noch nicht verraten.« Er schlug sich glücklich auf den Bauch. Von jetzt an wollte er nichts anderes mehr machen als »auftreten«. »Ganz Orpington wartet auf mich. Ich werde bekannter sein als Bob Hope. Aber sag deiner Mutter nichts davon! Sie hat kein bißchen Verständnis für meine Auftritte, genausowenig übrigens wie für meine Abgänge. Also, sind wir dabei?«
»Wir sind dabei, Dad.«
»Sehr gut. Mach dich bereit.«
»Bereit für was?«
Er strich mir sanft mit dem Handrücken übers Gesicht. »Bist ganz schön aufgeregt, he?« Ich antwortete nicht. »Dir gefallt dieses In-der-Welt-Herumzigeunern, nicht wahr?« »Ja«, sagte ich schüchtern.
»Und mir gefällt es, daß du dabei bist, mein Junge. Ich habe dich sehr lieb. Wir werden zusammen erwachsen, wir beide.«
Er hatte recht, ich freute mich auf sein zweites Auftreten. Mir gefiel es, daß sich etwas tat, aber ich mußte auch etwas Wichtiges herausfinden: Ich wollte wissen, ob Dad ein Scharlatan war, oder ob an der ganzen Sache wirklich etwas dran war. Schließlich hatte er Eva imponiert und sogar das Unmögliche geschafft - er hatte Charlie beeindruckt. Bei ihnen hatte seine Magie gewirkt, und ich hatte ihm deshalb den Spitznamen Gott verpaßt, wenn auch mit Vorbehalt; ein volles Anrecht hatte er noch nicht auf diesen Namen. Ich wollte erst mal sehen, ob Dad jetzt, da er langsam bekannt wurde, den Leuten wirklich etwas zu bieten hatte, oder ob er nur einer von diesen Vorstadtexzentrikern war.
Kapitel zwei
Dad und Anwar hatten in Bombay Tür an Tür gelebt und waren seit ihrem fünften Lebensjahr die besten Freunde. Dads Vater, der Arzt, hatte am Juhu-Strand für sich, seine Frau und seine zwölf Kinder ein wunderschönes flaches Holzhaus gebaut. Dort schliefen Dad und Anwar auf der Terrasse und liefen beim Morgengrauen zusammen ans Meer, um zu schwimmen. Sie fuhren in einer von Pferden gezogenen Rikscha zur Schule, am Wochenende spielten sie Kricket und nach der Schule Tennis auf dem eigenen Platz. Die Diener waren die Balljungen. Oft spielten die beiden Kricket gegen die Engländer, aber die mußte man gewinnen lassen. Außerdem gab es immer wieder Aufstände, Demonstrationen und Unruhen zwischen Hindus und Moslems. Man konnte vor seinem Haus Hindu-Freunde und Hindu-Nachbarn in Sprechchören obszöne Schimpfworte rufen hören.
Es gab Parties, auf die sie gehen konnten, denn Bombay war das Zentrum der indischen Filmindustrie, und einer von Dads älteren Brüdern gab eine Filmillustrierte heraus. Dad und Anwar prahlten gern damit, wie viele Schauspieler sie kannten und wie viele Schauspielerinnen sie geküßt hatten. Einmal, ich war sieben oder acht Jahre alt, sagte mir Dad, ich solle Schauspieler werden; es sei ein gutes Leben, meinte er, und das Verhältnis von Arbeit und Geld sei gar nicht so schlecht. Aber eigentlich war es ihm doch lieber, daß ich Arzt werde, und er erwähnte das Thema Schauspielerei nie wieder. Der
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