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Der Buddha aus der Vorstadt

Der Buddha aus der Vorstadt

Titel: Der Buddha aus der Vorstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
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Hinweis gegeben, daß Masturbation die Antwort auf sexuelle Frustration sei. Für Dr. Lai, der seitdem, wie er sagte, nie mehr unglücklich gewesen war, stellte Russells großartige Entdeckung gleichsam eine Offenbarung dar. War Dr. Lais sexuelle Befreiung etwa gar eine der herausragendsten Leistungen Russells? Schon möglich, denn wenn Dr. Lai nicht so unumwunden mit seinen beiden jungen und sexuell so gierigen Untermietern über körperliche Lust gesprochen hätte, wären sich mein Vater und meine Mutter vielleicht nie begegnet, und ich hätte mich nie in Charlie verliebt.
    Mit seiner dicken Wampe und seinem runden Gesicht war Anwar schon immer etwas plumper gewesen als mein Vater. Kein Satz war für ihn vollständig, wenn er ihn nicht mit unanständigen Wörtern spicken konnte, und ihm gefielen die Huren, die sich im Hyde Park herumtrieben. Sie nannten ihn Baby Face. Er war freilich nicht sonderlich elegant. Wenn der monatliche Wechsel aus Indien eintraf, ging Dad sofort in die Bond Street, um sich Frackschleifen, flaschengrüne Westen und Socken mit Schottenmuster zu kaufen, und danach war er gezwungen, sich von Baby Face Geld zu leihen. Tagsüber studierte Anwar Luft- und Raumfahrttechnik im Norden Londons, und Dad versuchte, sich hinter seinen juristischen Bücher zu vergraben. Nachts schliefen sie zwischen den Apparaturen in Dr. Lais Behandlungszimmer. Anwar schlief im Zahnarztstuhl. Verrückt vor Wut über die zahlreichen Mäuse, sexuell frustriert und gepeinigt von den kratzenden Unterhemden, die seine Mutter ihm mitgegeben hatte, zog Dad eines Nachts Lais hellblauen Kittel an, griff nach dem schrecklichsten Bohrer und fiel über den schlafenden Anwar her. Anwar schrie, als er aufwachte und den zukünftigen Guru von Chislehurst mit einem Zahnarztbohrer über sich sah. Diese Verspieltheit, diese Weigerung, etwas ernst zu nehmen, als hätte das Leben keine Bedeutung, bestimmte auch Dads Einstellung zu seinem Studium. Er konnte sich einfach nicht konzentrieren. Dad hatte noch nie gearbeitet, und es gelang ihm auch jetzt nicht. Anwar sagte bald von Dad: »Haroon tritt täglich vor die Schranken - und zwar um zwölf und um halb sechs in der Kneipe.«
    Dad verteidigte sich: »Ich gehe in die Kneipe, um nachzudenken.«
    »Zum Trinken - nicht zum Denken«, antwortete Anwar. Freitags und samstags gingen sie tanzen und schoben zur Musik von Glenn Miller, Count Basie oder Louis Armstrong die Mädchen über den Tanzboden. Dort fiel Dad auch zum erstenmal ein bestimmtes Mädchen ins Auge und in die Hände. Sie hieß Margaret, kam aus einer Arbeiterfamilie und der Suburbia. Meine Mutter sagte mir, daß sie ihn vom ersten Augenblick an geliebt habe, ihren kleinen Mann. Er habe so lieb und freundlich und gänzlich verloren ausgesehen, weshalb die Frauen in ihm auch ein gefundenes Fressen sahen.
    Mum hatte eine Freundin, mit der Baby Face ausging und bei der er offenbar auch aus- und einging, aber Anwar war schon verheiratet mit Jeeta, einer Prinzessin, deren Familie hoch zu Roß in die alte britische Bergstation Murree im Norden Pakistans gekommen war, als sie sich das Jawort gaben. Jeetas Brüder trugen Gewehre, das hatte Anwar nervös gemacht und nach England auswandern lassen.
    Prinzessin Jeeta folgte ihrem Anwar bald nach England und wurde meine Tante Jeeta. Tante Jeeta sah nicht aus wie eine Prinzessin, und ich machte mich über sie lustig, weil sie nicht richtig Englisch sprechen konnte. Sie war sehr schüchtern, und die beiden lebten in einem dreckigen Zimmer in Brixton. Es war alles andere als ein Palast, und der Blick ging nach hinten zu den Bahngleisen raus. Eines Tages beging Anwar einen schwerwiegenden Fehler im Wettbüro und gewann eine Menge Geld. Er schloß einen kurzfristigen Pachtvertrag für einen Spielzeugladen im südlichen London ab. Das Geschäft war eine katastrophale Fehlinvestition, bis Prinzessin Jeeta einen Gemüseladen daraus machte. Danach hatten sie es geschafft. Die Kunden kamen in Scharen.
    Aus Dad dagegen wurde nichts Rechtes. Seine Familie schickte ihm kein Geld mehr, als sie durch einen Spion - Dr. Lai - erfuhr, daß er sich nicht im Gericht, sondern nur in der Kneipe herumtrieb, um einige Pint dunkles Stout und Ale zu trinken und seidene Frackschleifen zu einer grünen Weste auszuführen.
    Schließlich wurde Dad Angestellter im öffentlichen Dienst mit drei Pfund in der Woche. Statt eines sanften Stroms wohltuender Zerstreuungen, einer Abfolge von Strand und Kricket, von Britenwitzen und

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