Der buddhistische Mönch
die Elefantenfarm gemietet oder gekauft hat; über solche Nebensächlichkeiten lässt er sich nicht aus. Es ist heiß, heißer noch als in Bangkok, und Klimaanlagen fehlen hier. Strom steht nur zeitweise zur Verfügung, je nachdem, ob die Khmer sich die Mühe machen, den Generator in Gang zu setzen oder nicht. Die meiste Zeit gibt es nichts zu tun, als die Wachen beim Betel Kauen und auf die Bäume Schießen oder auch nur die Elefanten zu beobachten, gereizte Jungtiere von ungefähr drei Tonnen.
Smith und Tanakan sind in offenbar neuen, für diesen Zweck errichteten Betonhütten mit Blick auf den Hof untergebracht, von wo aus sie die auf und ab trottenden Tiere sowie die Khmer beim Formen der riesigen Bambuskugeln sehen können. Die Khmer arbeiten langsam und gönnen sich oft Pausen, in denen sie einander anschnauzen oder wieder einmal eine Salve in die Luft oder in den Dschungel abfeuern. Nur Gamon und ich wissen, dass Bakers Tod möglicherweise alles verändert hat.
Er unternahm einen Fluchtversuch; vielleicht war es ihm auch einfach nur lieber, erschossen zu werden. Irgendwie gelang es ihm, das Schloss an der Stahltür seines Gefängnisses aufzubrechen, und dann waren mitten in der Nacht Maschinengewehrsalven zu hören. Keine Rufe, keine hörbaren Anweisungen. Wahrscheinlich schoss der Wachmann aus einem Reflex heraus und legte sich gleich wieder zum Schlafen hin. Am Morgen brachten sie mich zu der Leiche am Rand des Hofs, weil Gamon nicht beim Meditieren gestört werden wollte. Die Kugeln hatten Bakers Kopf getroffen. Er lag da, wie er gestürzt war, merkwürdig verrenkt und nackt bis auf schmutzige grüne Shorts mit Tarnmuster. Es machten sich bereits Heerscharen von Insekten über ihn her (Reinkarnationen von seit Millionen von Jahren stürzenden Seelen werden unwiderstehlich angezogen vom Geruch des Todes – kaum zu glauben, dass sie einst das Privileg eines menschlichen Bewusstseins besaßen). Eine Doppelreihe roter Ameisen führt zu und von seinem Mund; größeres Insektengetier leckt beharrlich an der aus der Wunde kleckernden Hirnmasse. Ich marschiere mit grimmigem Blick hinüber zu Gamons Hütte, trete gegen die Tür und zerre den meditierenden Mönch heraus und zu Bakers Leiche. In der Zwischenzeit hat sich ein großer Schwarm Fliegen darauf niedergelassen. Anfangs begreift Gamon das offenbar als Aufforderung zu einer weiteren Meditationsübung, als neuen karmischen Knoten, der sich unter dem Ansturm der absoluten Wahrheit auflösen soll. Doch dann beginnt das Gesetz von Ursache und Wirkung sein Denken zu beeinflussen, und ich beobachte, wie unerträgliche Pein ihn übermannt. Er hat die höchste Lebensform auf Erden in ein Festmahl für die niedrigste verwandelt, Buddhismus und Evolution auf den Kopf gestellt. Plötzlich erkennt er den karmischen Preis, den er zahlen muss, und gerät in Panik. Ich packe seinen Arm. »Wenn Sie jetzt wegrennen, bringen die Khmer uns alle um.«
Er scheint aus einem Traum zu erwachen. »Kommen Sie«, sage ich und führe ihn zu seiner Hütte zurück. »Meditieren Sie.« Und dann lasse ich ihn allein. Ich weiß nicht, ob er am Leben oder tot ist.
Im fernsehfreien Dschungel vergeht die Zeit langsam. Die Khmer, die daran gewöhnt sind, können in fast jeder Haltung stundenlang ins Nichts glotzen. Sie bekommen ihr Geld dafür, Befehle zu befolgen, von Gamon. Doch der meditiert manchmal zwölf Stunden am Stück. Ich bin ziemlich beeindruckt. Vor der Erschießung Bakers schaute ich immer wieder einmal in Gamons Hütte, um zu überprüfen, ob er tatsächlich vipassana praktizierte. Ich glaube, er tut es, denn die schlaffe Reglosigkeit seines Körpers lässt ahnen, was er mit seinem Geist anstellt. Meiner Theorie nach nutzt dieser Mann die Meditation wie ein anderer Morphium. Nach seiner Ordinierung scheint etwas mit ihm passiert zu sein; ihm wurde klar, dass es einen Ausweg gibt, dass der Geist unendliche Möglichkeiten besitzt, dass man sich nicht für dauerhaften Schmerz entscheiden muss. Allerdings half ihm das nicht gerade bei der Bewältigung des Hier und Jetzt, eine Kritik, die oft an unserer Form des Buddhismus geübt wird. Er war nie darauf ausgerichtet, füreinander sorgende Gemeinschaften von Menschen oder Sozialprogramme aufzubauen, und kam in ähnlich verzweifelten Zeiten wie der jetzigen zu uns, in denen der Abstieg in die Barbarei drohte. Plus ça change. Natürlich sollte ich Smith und Tanakan in ihren Zellen besuchen, aber bis jetzt hatte ich nicht den Mut
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