Der buddhistische Mönch
dazu. Manchmal ertappe ich mich dabei, wie ich stundenlang die Elefanten anstarre.
Wenn man den Plan kennt, stimmt der Anblick dieser Tiere düster. Obwohl noch nicht erwachsen, sind sie viel größer als das größte Pferd und ausgesprochen eigensinnig. Es gibt nur einen mahout, einen Khmer um die sechzig, bekleidet mit schmutzigen Lumpen, deren Farbe und Beschaffenheit an die frei im Hof herummarschierenden Dickhäuter erinnert. Gestern schlich sich einer von hinten an mich heran, um seinen Rüssel sanft um meine Knie zu schlingen und mich zu Fall zu bringen. Einen Augenblick lang glaubte ich, verloren zu sein, doch das Muskelpaket wollte offenbar nur etwas ausprobieren und trottete friedlich zurück zu seinen Artgenossen.
Ich weiß, dass ich Gamon früher oder später in seiner Hütte aufsuchen muss, habe aber keine Ahnung, was ich tun oder sagen soll. Der sorgfältige Plan seiner Schwester scheint sich in nichts aufzulösen. Ich beschließe, bis zum morgigen Tag zu warten. Endlich bringe ich den Mut auf, zu den Gefangenen zu gehen. Trotz der kulturellen Kluft fällt es mir leichter, mich Smith zu nähern als Tanakan, vor dem ich aufgrund seines höheren feudalhierarchischen Rangs immer noch Hochachtung habe. Ich raffe meinen Sarong, ein ausgefranstes, graues Stück Stoff, das ich am Tag meiner Ankunft im Waschhaus gefunden habe; mein Hemd und meine Hose waren verschwitzt und begannen zu stinken; ich empfand es als Befreiung, in die traditionelle Kleidung zu schlüpfen.
Smith geht es schlecht. Wie traurig, diesen großen, attraktiven farang- Körperfötal zusammengerollt in einer Ecke seiner Zelle kauern zu sehen. Möglicherweise ist seine Depression final, und einen Moment lang spiele ich mit dem Gedanken, ihn mitfühlend in Ruhe zu lassen. Ich betrachte ihn, den Kopf gegen die Gitterstäbe gepresst. Seine Augenlider bewegen sich, und hin und wieder zuckt eine Hand oder ein Bein. »Khun Smith«, sage ich, »ich bin’s, Detective Jitpleecheep«. Blinzelnd hebt er den Kopf.
Mein Anblick scheint ihn zu verwirren. Er ist sich nicht sicher, ob ich es tatsächlich bin, und falls ja: Will ich ihn retten oder ihn verspotten? Wir verharren etwa zehn Minuten lang so, nach einer möglichen Form der Kommunikation suchend. Dann streckt er sich wie ein Tier nach dem Winterschlaf und steht wackelig auf. Er trägt einen alten Sarong ähnlich dem meinen, was ihn wie einen als Eingeborenen verkleideten Weißen wirken lässt. Die Gitterstäbe werfen schwarze, strichkodeähnliche Schatten. »Sie«, sagt er, als wäre ich die Quelle all seines Unglücks, und tritt, neugierig auf seinen Folterknecht, auf mich zu. »Sie.«
»Ich kann nichts dafür«, erkläre ich. Mit einer Bewegung des Kinns fragt er, warum ich dann frei bin und er nicht. »Damrong«, murmle ich. Als er ihren Namen hört, beginnt er zu zittern. »Das ist für einen farang schwer, vielleicht sogar unmöglich zu verstehen. Sie hat Instruktionen hinterlassen.« Er schüttelt den Kopf. »Sie hatte keine Angst vor dem Tod, freute sich gewissermaßen sogar ihr ganzes Leben darauf. Und dann kam das Geld, Smith, wissen Sie.«
Hinter seinem trotzigen Blick verbirgt sich ein Eingeständnis seiner Niederlage. Wieso meinen wir Asiaten immer, uns gegenüber dem Westen rechtfertigen zu müssen, als wäre uns die Katastrophe, auf die er sich unweigerlich zubewegt, seit jeher bekannt? Hätten wir mehr tun sollen, um sie zu verhindern? Ich jedenfalls fühle mich zu einer Erklärung verpflichtet. »Der Tod«, sage ich. »Tom, haben Sie je über seine Bedeutung nachgedacht? Es geht mir dabei nicht um Religion, sondern um Empirie. Sie wusste, was neun Zehntel der Menschheit auch wissen: Der Tod ist stärker als Geld. Ich meine damit nicht irgendwelche Tötungsmaschinen – das ist steinzeitliches Gemetzel –, sondern den Tod als Idee, als Waffe des Geistes, als Realität, der nur reife Menschen ins Auge blicken können. Sie hatten nie eine Chance, Tom, waren in dem Moment verloren, in dem Sie sie das erste Mal voller Lust betrachteten. Während Sie nur daran dachten, ihren Körper zu kaufen, hatte sie einen viel umfassenderen Plan.« Ich suche nach den richtigen Worten. »Gibt es überhaupt reife Menschen in der Welt, aus der Sie kommen, Tom?«
Natürlich ist es mir nicht gelungen, zu ihm durchzudringen. Jetzt hält er mich für einen verrückten Mischling, für ein asiatisches Foltermonster, ausgeschickt von einer barbarischen Macht. Widerstrebend gebe ich auf.
Khun
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