Der Bürohengst (Finn Falkner Reihe)
schlechte Laune bleibt natürlich mein Geheimnis. Aber es wundert mich selbst ein wenig, dass mich Kevins enttäuschter Gesichtsausdruck so mitnimmt. Ich wollte dem Kleinen wirklich nicht vor den Kopf stoßen. Und dann auch noch mit Benny. Der nächste Grund, jetzt ein mieses Gesicht zu ziehen. Auch wenn sich der Kerl ziemlich unterwürfig gegeben hat, bin ich doch wieder auf ihn reingefallen. Alles, was mit Sex zu tun hat, gerät bei mir ständig völlig außer Kontrolle. Immerhin hat Lukas bislang nichts zu meinen Ausschweifungen gesagt. Wenn er von mir Treue verlangt hätte, wäre ich schon wieder in einer blöden Situation. Und trotzdem fühlt es sich wie Versagen an. Da wundern sich Frauen, weshalb Männer mit den Gefühlen immer Probleme haben. Sex und Emotionen passen ja auch nicht wirklich zusammen, oder? Viel zu oft folgen auf geile Sauereien weniger angenehme Gefühlsregungen. Da könnte ich gern drauf verzichten. Also Sex und Liebe trennen? Und das fällt mir ausgerechnet jetzt ein, da ich mich auf Lukas freue, mit dem beides gleichermaßen zu funktionieren scheint. Offenbar ist er ja auch nicht eifersüchtig und beansprucht mich ganz für sich selbst …
„Bist du noch da?“ Meine Mutter stupst mich an.
„Ja, ich – war in Gedanken …“
„Das habe ich gemerkt.“
„Hast du was gesagt?“
„Dass du bis morgen bleiben solltest. Dein Vater würde sich bestimmt freuen, wenn …“
„Ach Mum, der Zug kommt doch gleich.“
„Ich meine ja nur.“
„Klammer mal nicht so. Ich bin erwachsen.“
„Ja, körperlich vielleicht …“
Sofort schießen mir wieder die Tage durch den Kopf, die ich mit Lukas im Bett verbracht habe. In meinem Elternhaus! Ja, wir sind vorsichtig und sehr leise gewesen. Aber habe ich wirklich geglaubt, meine Eltern würden nicht mitbekommen, was wir da treiben? Der Kommentar meiner Mutter jedenfalls spricht Bände. Zum Poppen langt’s, aber was die Beziehungen angeht, stecke ich noch in den Kinderschuhen. Danke.
Ich bin froh, dass sich die Anzeigetafel gerade ändert. Mein Zug hat natürlich Verspätung. Zehn Minuten.
„Mist, Verspätung.“ Ich deute zur Anzeige und lenke meine Mutter geschickt von meinem verräterisch heißen Gesicht ab. „War ja klar, dass der nicht pünktlich kommt.“
„Ach, früher kamen die Züge ständig, wann sie wollten. Da hat auch keiner gemeckert.“
„Erzähl mal von noch früher, als du so dreißig warst und es noch gar keine Dampfmaschinen gab …“
„Finn! Hör auf, deine arme, alte Mutter zu ärgern!“
„Ich will dich langsam an die Neuzeit gewöhnen. Früher war doch alles so viel besser, das muss ja ein Schock sein heute. Wenn ich da immer schön frech bin, hast du dich in ein paar Jahren vielleicht umgewöhnt …“
Meine Mutter sagt nichts und sieht mich für einen Augenblick schockiert an. Dann schüttelt sie den Kopf und ein Schmunzeln kräuselt ihre Lippen. „Wenigstens lächelst du jetzt wieder.“
„Ich hab wirklich nichts. Mach dir keine Sorgen. Ich muss nur noch ein paar Dinge erledigen, bevor die Uni wieder anfängt.“
Wieder schweigt meine Mutter eine Weile. Oh Mann, hätte ich doch nur nicht noch mal davon angefangen. Ich weiß doch, dass sich meine Mutter über alles Gedanken macht. Sicher fragt sie sich jetzt, was ich wohl für Sachen zu erledigen habe – also in Ordnung zu bringen …
„Das letzte Semester war ziemlich anstrengend. Im nächsten will ich besser vorbereitet sein.“ Lieber schnell ihre Gedanken auf harmlosere Themen lenken. Und damit begehe ich ja nicht mal eine Lüge. Das letzte Semester war wirklich anstrengend gewesen, wenn ich bedenke, wie viel Sex ich mit Marco gehabt habe – und Lukas – und beiden zusammen … Und wenn ich nach Marcos Psychoattacke jetzt die Fronten kläre und auch noch mit Mara ins Reine komme, dann bin ich in der Tat besser vorbereitet …
Meine Mutter runzelt die Stirn. „Dieser Dozent, wie heißt er noch gleich?“
Scheiße! Ich schlucke. „Kehlmann.“
„Du nennst ihn beim Nachnamen?“, fragt meine Mutter überrascht.
„Du hast nach meinem Dozenten gefragt.“ Natürlich werde ich sofort wieder rot. „Er heißt Marco.“
„Dieser Marco, der ist gar nicht dein – Lebenspartner, oder?“
Nein-nein-nein! Das darf doch jetzt nicht wahr sein! So lange habe ich es geschafft, den Fragen aus dem Weg zu gehen, und ausgerechnet hier am Bahnhof geht’s los. Ich verfluche die Deutsche Bahn mit ihren Verspätungen!
„Nein, Ma“, presse ich
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